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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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Wurst als hors
und ein Scheibchen Sardelle als d’oeuvres, gebratene Fische, Rindfleisch, Huhn,
meist beides nacheinander; wenn man dann dem Ersticken nahe ist, eine kräftige
Schüssel Gemüse, und ein bißchen Käschen, Obstchen, Nachspeischen und
Kaffeechen. Dazu, wenn‘s schief geht, rauchende Salpetersäure; sonst einen
angenehmen Landwein.
    Da sitze ich nun und lese
meinen französischen Roman, in dem unweigerlich vorkommt: «Il huma l‘air
frais», dann spiele ich das Nationalspiel — ich versuche, mir mit den
Regiestreichhölzern die Zigarette zu verderben: die Streichhölzer sind aus
Schwefelwasser- Stoff und imprägniertem Holz angefertigt — brennen sie nicht,
so riechen sie doch schön.
    Soll ich in das Syndicat
d’Initiative, ins Reisebüro, gehn, das es in jeder Stadt gibt? Sie sind groß an
freundlicher Bereitwilligkeit und klein an Bücherbestand, und um Landkarten zu
bekommen, muß man wahrscheinlich den Ministerpräsidenten selbst bemühen. Es
gibt schöne Karten, aber es gibt sie nicht. Erst habe ich versucht, mich an
Hand der Generalstabskarte zurechtzufinden. Wenn die Franzosen mit diesen
schwarz besprenkelten Drucken den Krieg geführt haben, so ist das eine ganz
große Leistung. Diese Karten sind wohl, wie so viele weibliche Gegenstände im
Kriege, nur für Offiziere bestimmt gewesen. Dann habe ich eine Karte entdeckt,
die das französische Ministerium des Innern herausgebracht hat, und die ist
vollendet: in Druck, Klarheit, Aufmachung. Aber sie ist nirgends zu haben.
    Mit dem ‹Guide Bleu› von
Hachette versuche ich‘s erst gar nicht. Das ist eines von jenen Reisebüchern,
deren Verfasser man immer gern bei sich hätte, um sie mit der Nase an alle
Mauern zu stoßen, die man einrennen würde, wenn man ihre törichten Ratschläge
befolgte. Das Kartenmaterial ist mäßig, die Stadtpläne sind voller Fehler, die
Angaben über die Hotels unzuverlässig, die Wegbeschreibungen von entwaffnender
Kindlichkeit, das Nachschlageverzeichnis wimmelt von Druckfehlern. Das hübsch
ausgestattete Bändchen kostet, in schmiegsames blaues Leinen gebunden,
fünfundzwanzig Francs. Nun wird es wohl Zeit zum Abendessen.
    Suppe mit weichem Brot,
Wurstscheiben und Sardellen, gebratene Fische... schade, daß es kein
französisches Wort für Mahlzeit!» gibt. Man soll nicht undankbar sein: mein
Seufzer ist der Tadel eines ächzenden Schlaraffen.
    Im Hotel essen die Junggesellen
und auch ein paar verheiratete Herren aus der Stadt. Man sieht an ihren
Servietten, daß es Stammgäste sind. Sie führen ihre ernsten Gespräche; an den
ganz wichtigen Stellen beugen sie sich vor, und ihre Augen sehen umher: Hast du
auch nichts gehört —? Ich habe nichts gehört, auch sage ich nichts weiter.
Einer präpariert einen Mordsspaß: er legt auf den Platz des Nachbarn, der noch
nicht da ist, ein kleines Paketchen neben den Teller. Alle haben es gesehen und
schmunzeln. Sagen Sie, sind eigentlich Frauen auch so harmlos und nett
miteinander, wenn man sie allein läßt?
    Und dann gehe ich auf mein
Zimmer.
    Das Auge bekommt ein
Hotelzimmer für eine Person allein zu mieten — das Ohr nicht. Hotels sind die
lautesten Niederlassungen der Menschen. Da, wo die Tür sitzt, ist das Brett
einer Streichholzschachtel angebracht, damit man gut hört, wann nachts der böse
Dieb kommt; morgens früh, wenn die Hausdiener krähn, fährt schwere Artillerie
im Korridor auf, und nebenan gurgelt sich jemand ausführlich den Rachen. Oben,
eine Etage höher, geht ein Gewitter nieder. Man schläft eigentlich mit allen
zusammen, wie in einer Scheune. Nein, es ist nicht nur das Ohr. Jedes gute
Hotelzimmer hat mindestens drei Türen, damit man sich nicht so allein fühlt —
und mindestens drei davon haben Glasscheiben. Dein Licht darfst du auslöschen,
das der andern hast du umsonst. Aber das liegt wohl so im Wesen aller Hotels,
mit Ausnahme der ganz vornehmen, in denen Boxer, Diplomaten, Verleger und
andere feine Leute wohnen, und die französischen sind im allgemeinen nicht eben
schlecht. Man muß nicht in alle Küchen gucken, wo man zu Gast ist — ich komme
aus der Literatur und weiß das.
    Stille. Wenn einen nicht das
Sinnloseste stört, das es auf Gottes Erdboden gibt: Hundegebell. Meine Freundin
Grete Walfisch hat mir neulich geschrieben: «Kein Hund bellt ohne Grund. Das
ist eine alte Bauernregel, die Du ohne vorlaute Bemerkungen anzuerkennen hast.»
Sicherlich hat er Gründe. Aber sie gehen mich nichts an, und die
Beharrlichkeit, mit der er
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