Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
Vom Netzwerk:
Schönheit liebte
—» sagt er.
     
     

Dank an Frankreich
     
    «Ich vermisse von Ihnen noch
immer den hemmungslosen und kritiklosen, tiefen und erlösenden Aufschrei über
das unendliche Glück, in Frankreich leben zu dürfen.»
    Aus einem Freundesbrief
     
    Der lange D-Zugwagen schaukelt
sanft von der Gare d’Austerlitz bis zur Gare d’Orsay. Ohne Ruck hält er. Das weiße
Deckchen auf dem Polster ist verrutscht, ich streiche es sorgsam glatt. Und
steige aus.
    Da rollt und flimmert Paris.
Die kleinen roten Lampen an den Autos glitzern wie funkelnde Rubine, die Hupen
gellen, hinterher seufzen sie so sonderbar erschöpft auf; der kleine Neben ton
sagt: Guten Tag! — Guten Tag, sage ich.
    Und da gehe ich ganz allein
über die Brücken der Seine und sehe, wie die Ausstellung noch immer illuminiert
ist und wie der Concorde-Platz im bleichen Licht daliegt, auf ihm die Inselchen
der rollenden Wagen... Guten Tag.
    Und jetzt, wo niemand es hört,
bewegen sich ganz leise meine Lippen, eine warme Welle schießt mir zum Herzen
auf, und ich sage: Dank.
    Dank, daß ich in dir leben
darf, Frankreich. Du bist nicht meine Heimat, und ich bin kein alter Franzose,
der auf einmal kein Deutsch versteht. Ich habe deine Kinderverse nicht
auswendig im Kopf, ich muß mir erst vieles übertragen; nicht bei dir habe ich
Männerchen auf die Zäune gemalt und eine lange ungehörige Zeichnung auf das
Häuschen an der Ecke. Nicht bei dir bin ich verliebt durch die Straßen
gelaufen, mit einem kleinen Brief in der Brusttasche und einem großen Schauder
über dem Rücken... Keine Ecke sagt: hier bist du einmal... kein Haus sagt: hier
oben hat sie einmal... Und doch bin ich bei dir zu Hause.
    Du warst gastlich vom ersten
Tage an. Du hast niemals den Fremden verspottet, wenn er Vokabeln, Bräuche,
Stadtviertel verwechselte. Du hast dich nie gespreizt, du hast dich nie
versagt. Wer dich zu suchen ausgeht, kann dich finden.
    Du siehst von außen mitunter
besser aus, als du bist — in einer Parfumfabrik riecht es nicht immer sehr gut.
Du liegst in Europa, man kann dich nicht losgelöst von Europa betrachten, und
du bekommst es nun zu fühlen, daß du dazugehörst, auch wenn du dich einen Teufel
um das Fremde scherst. Ich kann nicht zu allem, was hier geschieht, ja sagen.
Auch du hast deine Justiz, deine Verwaltung, deine Eisenhüttendirektoren und
deine Arbeiter... Das ist deine Sache.
    Darüber schwieg ich stets — aus
Liebe. Und ich bekam es von zu Hause nicht schlecht zu hören:
Franzosenliebling, Französling, landfremdes Element, Undeutscher. Und von
andern bekam ich nicht schlecht zu hören: er lobt nicht alles, was in Paris
geschieht — er versteht nichts von dieser himmlischen Stadt. Nein, ich lobte
nicht alles in dieser himmlischen Stadt.
    Aber heute abend, wo ich auf
der Brücke stehe und ins strahlende Wasser sehe, heute abend, wo ich wieder da
bin und diese feine, graue Luft einatmen darf, das Brausen der Stadt höre, die
Laute, die ich kenne und zutiefst fühle — heute abend laß mich dir danken.
    Ja, du hast das größte Glück
gegeben, das eine Umgebung verleihen kann. Lieben kann man überall, Geld
gewinnen kann man überall, das äußere Wohlsein erreichen kann man überall. Aber
um nichts glücklich sein, durch die Straßen streichen und die Häuser mit dem
Blick umfangen: Gott sei Dank, daß ihr alle da seid! zum Nachbar ja sagen,
immer nur runde Ecken vorfinden, betrunken sein, weil man diese Luft einatmet:
das kann man nur bei dir. Deine Vergnügungen sind es nicht, deine Frauen sind
es nicht, deine Kunstwerke sind es nicht. Nichts ist es und alles zusammen — du
bist es.
    Und deine Menschen sind es.
    Oft, wenn wir an die Frage
kamen: «Und Sie sind... Engländer?» und ich sagte dann das Wort, dann entstand
eine winzig kleine Pause, und eine Welt war in der Stille. Eine Welt von vier
Jahren. Aber nie, nie, nie mehr als das — nie ein böses Wort, nie eine heftige
Anspielung, ein Versuch, den Krieg nun noch einmal unter vier Augen zu
gewinnen. Wer nicht mit Deutschen umgehen will, tut es nicht. Wer sich über den
Nationalkram hinwegsetzt, tut es. Die Majorität ist neutral und hat
Herzenstakt.
    Und es sind besonders ‹die
kleinen Leute›, die so liebenswert sind — Gevatter Epicier und Handschuhmacher,
Herr Un Tel, Herr Chose, Herr Machin. Sie denken mit dem Herzen, sie fühlen mit
dem Kopf, es sind vor allen Dingen einmal Menschen — on s’arrange. Ja, es gibt
sogar höfliche Polizeikommissare.
    Manchmal habe ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher