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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund
Autoren: Martin Suter
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ich auch allein gehen.«
    »Wie kommst du darauf, daß es mir schwerfällt?«
    »Du bist bedrückt.«
    »Nur müde.«
    »Ich könnte es gut verstehen - nach dem, was dort oben passiert ist.«
    Fabio brachte ein wehmütiges Lächeln zustande. »Es sind auch schöne Dinge darunter.«
    Das Licht sprang auf Grün, Norina gab Gas.
    Natürlich hatte sie recht. Er war nicht nur bedrückt, er war stumm verzweifelt. Über sich, über das, was hinter ihm lag, und noch schlimmer - über das, was vor ihm lag. Er hatte keine andere Wahl, als Norina die Wahrheit zu gestehen. Die Wahrheit über Fabio Rossi. Das würde, darüber gab es keine Zweifel, das definitive Ende ihrer gerade wieder aufkeimenden Beziehung bedeuten.
    Am Waldrand parkten mehrere Autos. Norina stellte den Renault dazu. Sie holte eine gefüllte Einkaufstasche aus dem Kofferraum. »Bratwürste«, erklärte sie, »am Nationalfeiertag obligatorisch.«
    Sie gingen den Hauptweg hinunter und bogen in den Seitenweg ein, der zum Gourrama führte. Die meisten Häuschen und Gärten waren mit Lampions, Girlanden und Fähnchen geschmückt. Die Leute waren mit Festvorbereitungen beschäftigt und warfen besorgte Blicke zum Himmel.
    Vor dem Häuschen mit den gelben Läden stand die Frau mit dem schlechten Gedächtnis auf einem Stuhl und befestigte eine Leuchtgirlande an einem Regenrohr. Ihr Mann, der Kartenspieler, trug eine Kühlbox ins Haus. Fabio und Norina nickten ihnen zu. Sie nickten zurück, und man sah ihnen die Anstrengung an, ihre Kommentare zurückzuhalten, bis die beiden außer Sicht und Hörweite waren.
    Frau Blatter, die Nachbarin des Gourramas, hatte Besuch. Zwei Familien mit kleineren Kindern. Die Männer in Fabios Alter waren dabei, eine Plastikdecke als Vordach vor das Gartenhäuschen zu spannen. Sie selbst pflückte Brombeeren. Ein kleines Mädchen half ihr dabei.
    Als sie Fabio und Norina sah, kam sie ans Gartentor. »Sie denken bestimmt, das sind meine Kinder und Enkel. Aber es sind meine Enkel und Urenkel.« Sie wurde ernst. »Es tut mir so leid wegen Lucas. Ich habe ihn hier noch gesehen, am selben Tag. Er schien mir wie immer. Wenn man doch manchmal hineinsehen könnte in die Menschen.«
    Als sie sich einen schönen Abend wünschten, sagte sie:
    »Schön, daß das Gourrama heute nicht leer steht. Das wäre noch trauriger.«
    Der Regen der vergangenen Tage hatte im verwilderten Garten für etwas Kosmetik gesorgt. Vor allem dem Kürbis hatte er gutgetan, der mit großen, sattgrünen Blättern das Beet überwucherte. Nur die Bambusrohre der Tomatenstauden ragten trostlos aus dem Grün. Den paar Blättern, die die Trockenheit überlebt hatten, hatte der Regen den Garaus gemacht. Sie welkten pilzgrau zwischen Tomaten, die wie kleine schlaffe Säcke vor sich hin faulten.
    In den Brombeeren stritten sich die Spatzen um die Ernte, unter den Bäumen summten die Wespen im Fallobst.
    Lucas' Großonkel hatte sich gefreut, als ihn Fabio anrief und fragte, ob sie den Abend im Gourrama verbringen dürften. Falls möglich, aber wirklich nur falls möglich, solle er doch ein paar Brombeeren pflücken, es seien die besten, die er kenne. Und Obst. Obst, so viel er tragen könne. Fabio hatte sich vorgenommen, dem alten Mann etwas von der Ernte vorbeizubringen.
    Es mußte sehr naß gewesen sein, als die Polizei hier war. Über den Holzboden der Veranda bis zur Tür führte ein Trampelpfad aus schmutzigen Fußspuren. Im Raum selbst hatte sie jemand mit einem feuchten Lappen ungleichmäßig verschmiert. Auch Spurensicherer hinterließen Spuren.
    Es roch nach Feuchtigkeit und verdorbenem Essen. Auf dem Tisch lagen drei Tageszeitungen, alle vom 26. Juli, Lucas' letztem Tag. Daneben ein Aktenordner mit der Aufschrift »Laufendes«.
    Auf der Eckbank standen vier Archivschachteln voller Akten, Manuskripte und Büromaterial.
    Der interessanteste Fund war unter den alten Zeitschriften versteckt. Lucas' Powerbook.
    Auf dem oberen Kajütenbett lagen ein paar Kleidungs und Wäschestücke. Das untere Bett war bezogen und ungemacht.
    Im Abtropfständer neben dem Spülbecken steckten zwei Teller. Daneben standen ein offener Waschbeutel, ein Rasierer, ein Rasierpinsel und ein Rasierseifenstift.
    Hinter einem gestreiften Vorhang unter dem Spülbecken befand sich ein Mülleimer. Von da kam der Gestank. Er enthielt eine Tiefkühlmahlzeit, Rahmschnitzel mit Spätzle im Doppelbeutel. Die Seite mit den Spätzle war intakt. Aber der Beutel mit den Rahmschnitzeln mußte sich aufgebläht haben, bis
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