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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund
Autoren: Martin Suter
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Minuten«, sagte sie.
    »… in zehn Minuten zurück.«
    Sie meldete sich sofort, als er zurückrief. »Was für eine Tatwaffe?« war ihre erste Frage.
    »Ein Schaufelstiel. Ziemlich sicher. Es klebten Haare dran.« - Pause - »Rote.«
    Am andern Ende war es einen Moment still. Dann sagte Norina: »Ich kann es nicht gla uben.«
    »Ich auch nicht. Wir müssen fairerweise die Laborresultate abwarten. Aber es sind, wie gesagt, rote Haare.«
    Sie sagte lange nichts. Dann: »Du hast doch gesagt, du würdest mir helfen, seine Sachen durchzusehen. Wann hättest du Zeit?«
    »Je früher, desto besser.«
    »Heute abend? Um sieben?«
    »Ich bringe etwas zu essen mit.«
    Grazia Neri war immer noch nicht gut auf Fabio zu sprechen. Aber wenigstens lächelte sie ihn nicht an. »È un peccato!« war ihr mißbilligender Kommentar zu Lucas. Und meinte damit die Todsünde des Selbstmordes.
    Fabio ließ sich von der Verkäuferin ein Pfund frische Ravioli Ricotta, gesalzene Butter, Salbei, ein Stück Parmesan, Parmaschinken und zwei Flaschen Barolo geben. Die Netzmelone holte er sich selbst. Am Stand vor dem Laden roch er sich durch fünf Stück, bis er sich für eine entschied.
    Während die Verkäuferin seine Einkäufe verpackte, fragte ihn Grazia über die Beerdigung aus.
    »Waren viele Leute da?«
    »Ziemlich.«
    »Eine schöne Trauerfeier?«
    »Es geht.«
    »Katholisch oder protestantisch?«
    »Weder noch.«
    »Jüdisch?«
    »Es war keine religiöse Feier.«
    »Wie soll denn das gehen?« fragte Grazia fassungslos.
    »Es ist nicht einfach, Grazia.«
    »Das glaube ich.«
    Als Fabio schon auf der anderen Straßenseite vor Norinas Haustür stand, schüttelte Grazia noch immer den Kopf. Oder wieder?
    Norina erwartete ihn an der halboffenen Wohnungstür. Sie war bleich. Die Augenschatten waren einen Ton dunkler geworden. Sie bat ihn mit einem ernsten Lächeln herein.
    Fabio versuchte, sich nicht umzusehen. Aber er spürte die Veränderung. Der Spiegel über der Kommode war durch ein Kinoposter ersetzt, neben der Tür stand ein verchromter Garderobenständer, der Spannteppich in der Diele war weg, das Parkett darunter neu abgeschliffen und versiegelt.
    Er brachte die Einkäufe in die Küche. Sie schien unverändert. Abgesehen von einer Orangenpresse neben der Espressomaschine.
    Die Tür zum kleinen Küchenbalkon stand offen. Drei Töpfe mit Hanfpflanzen drängten sich darauf. Lucas' Zöglinge. Lucas war ein Sonntagskiffer gewesen. Um sich zu beweisen, daß er kein Spießer sei, wie Fabio ihn gehänselt hatte.
    Er packte die Sachen aus und begann, die Melone aufzuschneiden. Norina übernahm die Abfalltrennung. Papier zu Papier, Plastik zum Abfall, Melonenkerne zum Kompost. Sie trug einen engen, knielangen Rock, flache Schuhe und einen weiten, dünnen Baumwollpullover, unter dem sich, wenn sie sich bewegte, ab und zu eine Brust abzeichnete. Alles in Farbtönen, die möglichst nichts mit Schwarz zu tun haben wollten.
    Fabio schnitt die Fettränder vom Schinken, rollte die Scheiben und legte sie auf die beiden Teller mit den Melonenschnitzen. Dann machte er den Wein auf.
    »Nur falls du trinkst. Ich habe gestern zuviel gehabt.«
    Fabio stellte die Flasche auf den Küchentisch zurück. Er halbierte die Butter, warf sie in ein kleines Pfännchen und stellte es auf eine Platte. Er wusch den Salbei und zupfte die Blätter in die langsam schmelzende Butter.
    Sie setzten sich an den Küchentisch und aßen die Vorspeise. Schweigend. Keiner wollte etwas Falsches sagen. In der Küche breitete sich der Duft der Salbeibutter aus.
    Nach dem Essen führte ihn Norina in das Zimmer, das früher seines gewesen war. Jetzt standen da ein Schreibtisch, ein Stuhl und ein Sessel, die Fabio von Lucas' Wohnung kannte. Ein paar Schachteln lagen herum, manche leer, manche voll, manche halb geleert oder schon wieder halb gefüllt. An einer Wand lehnten Regale und Gestänge eines zerlegbaren Büchergestells.
    Sie stellten eine leere Bücherschachtel in die Zimmermitte und begannen sie mit den herumliegenden Sachen zu füllen. Als nichts mehr herumlag, packten sie den Inhalt der Schachteln um.
    Jedes Blatt, jede Notiz, jeder Zeitungsausschnitt, jeder Beleg, jedes Manuskript, das ganze Sammelgut eines kurzen Journalistenlebens wurde wohl ein letztes Mal von zwei Menschen für wichtig genug befunden, um in die Hände genommen, betrachtet, beurteilt und beiseite gelegt zu werden.
    Bis nach Mitternacht kauerten sie am Boden und arbeiteten sich wortkarg durch Lucas Jägers
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