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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht
Autoren: Oliver Bottini
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bestens. Wohlwollen war die Währung, eine knappe Devise, die er ein ums andere Mal generierte, was allerdings nicht weiter verwunderlich war. So, wie die harten Jungs mit den gebügelten Uniformen und den verspiegelten Sonnenbrillen deutsche Autos liebten, so liebten sie deutsche Waffen. Und weil er, Reinhold Wegner, schneller, fantasievoller und lösungsorientierter vorging als die Konkurrenz, liebten sie vor allem die Waffen von Meininger Rau.
    Ja, man brauchte ihn, und deshalb würde er im Gegensatz zu seinen Vorvätern alt werden, würde Seniorenausweise, Rollatoren und Pflegepersonal kennenlernen, dritte Zähne, künstliche Hüftgelenke, den grünen Star. Er würde seine letzte Erektion beim Anblick eines Geriatriestudentinnenhinterns bekommen, seinen letzten Furz in einem blühenden Hospizgarten auf einem bayerischen Hügel lassen.
    Ein sanfter Gong erklang, der Espresso war fertig. Wegner nahm die Tasse, hielt sie sich unter die Nase, schloss die Augen.
    Fünfzig Jahre also. Er fröstelte.
    Nackt, die Tasse in der Hand, Hausschlappen an den Füßen, ging er durch das Chaos in Richtung Wohnzimmer. In zwei Stunden kamen die Putzkolonnen, sie hatten viel zu tun. Zersplittertes Glas knirschte bei jedem Schritt, es stank nach Fleischresten, Knoblauch, dem kalten Rauch von Zigaretten und Zigarren. Das Büfett im Esszimmer ein vielfarbiges Schlachtfeld, der Teppich darunter für alle Ewigkeit verdorben. Überall lagen und standen leere Flaschen, auf dem Parkett im Wohnzimmer trockneten Alkoholpfützen, er stieß gegen achtlos abgestellte, verschmutzte Teller. An einer Stuhllehne ein vergessenes Jackett, auf dem Kaminsims ein hauchdünner braungelber Damenschal.
    Hermès, ein Geschenk aus Paris.
    Ach, das ist doch viel zu teuer, Reinhold.
    Steht dir wunderbar. Wie für dich gemacht.
    Aber ich will solche teuren Sachen nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wann ich ihn tragen soll.
    Morgen zum Beispiel. Ich bringe zwei Saudis mit, Generäle.
    Also gut, machen wir es so: ein Dienstschal, für solche Gelegenheiten.
    Er trat an den Kamin und schlang sich den Schal um den Hals. Seine Frau war für eine Stunde gekommen. Lange genug, um da gewesen zu sein. Lange genug, um den Schal zu vergessen.
    Ein Höflichkeitsbesuch.
    Darin war sie unschlagbar, in Höflichkeit. Kein Abgeordneter, kein General, kein Minister, dem sie nicht durch einen freundlichen Plausch für Minuten die Sorge um den Zustand seiner Welt nehmen konnte. Eine unbezahlbare Fähigkeit.
    Er ging weiter. Der Duft ihres Parfüms überlagerte den Gestank.
    Er war zufrieden. Eine gelungene Feier.
    Neunzig Gäste, die meisten mit dem Vorsatz, sich zu benehmen, unter ihnen die Geburtstagsdelegation von Meininger Rau und seine Frau. Der Rest hatte gewartet, bis man unter sich war. Ein Ministerialbeamter, ein Staatssekretär, ein paar Hinterbänkler, ein paar Firmenbosse, zwei Georgier, ein Mexikaner, ein Spanier, Hostessen, Wegner selbst, der fortan nichts anderes mehr getan hatte, als sich bis acht Uhr morgens um die Zufriedenheit seiner verbliebenen Gäste zu kümmern.
    Nun gab es ein paar Geschichten mehr, über die man nur mit ihm sprechen konnte. Das schuf Verbundenheit.
    Er ließ die Terrassentür zur Seite gleiten, folgte dem Kiespfad, der sich durch den Garten schlängelte. Der Dienstschal flatterte im Morgenwind, der Duft seiner Frau verflog.
    Sein Sohn war gar nicht erst erschienen.
    Selbst seine Frau hatte versucht, ihn zu überreden. Ach komm, nur ein Stündchen, es ist deinem Vater wichtig. Bestimmt werden hübsche Mädchen da sein. Vielleicht leiht er dir den Jaguar.
    Anderes war wichtiger gewesen.
    Am Rand des Swimmingpools schlüpfte Wegner aus den Hausschuhen, stellte die Tasse ab, ließ den Schal auf den Kies gleiten. Über die Beckenleiter stieg er ins kalte Wasser. Er folgte der Bodenschräge, bis er nicht mehr stehen konnte, dann ließ er sich treiben, spielte müde toter Mann.
    Später schwamm er ein paar langsame Bahnen, tauchte vom einen Ende des Pools zum anderen. Fünfzig, dachte er unter der Wasseroberfläche. Bestimmt kam ab fünfzig die eine oder andere Vorsorgeuntersuchung dazu. Am Montag würde er seinen Hausarzt fragen. Untersuchen lassen, was mit fünfzig anfällig wurde. Endlich abnehmen.
    Er holte Luft, tauchte weiter. Auf halber Strecke meinte er Stimmen zu hören. Er öffnete die Augen und hielt erschrocken inne. Schräg über ihm, am Beckenrand, schwebten zwei dunkle Gesichter. Zwei dunkle Hände winkten.
    Prustend kam er hoch. Die
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