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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht
Autoren: Oliver Bottini
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Glas.
    »Und Sie«, sagte er, »haben Sie auch Familie da oben?«
    » Sie sind meine Familie, Herr Richter, zumindest für die nächsten fünf Tage.«
    Gegen sechs ging Richter mit Ahmed und Madjer zum Tennisplatz. Sie spielten im Flutlicht, die Dämmerung kam rasch, mit ihr ein kühler Wind. Madjer betätigte sich als Schiedsrichter. Mit Ernst und Hingabe überwachte er das Spiel von einem Stuhl aus, der Kopf flog mit dem Ball hin und her, der Blick war beinahe unbestechlich. Ahmed spielte besser und schneller als Richter und verlor doch knapp den ersten Satz. Er hätte auf diesem Platz mit diesem Schiedsrichter jedes Match der Welt verloren – Madjers Version der algerischen Gastfreundschaft.
    »Out!«, schrie Madjer und sprang auf. »Advantage Richter!«
    Richter sah Ahmed grinsen und musste lachen.
    Im zweiten Satz wurden Madjers »Fehlentscheidungen« zunehmend grotesker. Ahmed achtete nun darauf, den Ball nicht mehr platziert in die Nähe der Linien zu spielen, sondern mitten ins Feld. Madjer behalf sich, indem er Fußfehler oder »bewusste Irritation des Gegners« beanstandete. Hin und wieder rutschten Ahmeds Bälle durch ein winziges Loch im Netz, von dessen Existenz nur der Unparteiische wusste.
    Richter gewann auch den zweiten Satz.
    »Gratulation«, keuchte er beim Handschlag am Netz, und Ahmed strahlte über das ganze sanfte Gesicht.
    Auf der Terrasse trank Richter zwei Gläser Wasser, setzte sich, um zu verschnaufen, die Hände auf dem weichen, zitternden Bauch. Ihm war ein wenig übel, vor Erschöpfung vielleicht oder vor Hunger. Constantine war in der Finsternis nur noch zu erahnen, vereinzelte Lichter schwebten in der Höhe, Straßenlaternen, Lampen hinter Fenstern. Die Nächte in seinem südbayerischen Tal hatten selbst im Sommer von sechzehn Uhr bis elf am nächsten Tag gedauert, die Winter waren höchstens einmal hellgrau geworden.
    Er wusste nicht, weshalb er ausgerechnet hier, in Nordafrika, so oft über die Dunkelheit nachdachte. Als würde sie von innen in seine Gedanken kriechen.
    Toni trat neben ihn, eine Tasse in der Hand, plötzlich roch es nach starkem Kaffee.
    »Könnte ich auch eine Tasse haben?«, fragte Richter.
    »Nehmen Sie die.«
    Toni ging, kehrte mit einer weiteren Tasse zurück. »Und Sie? Haben Sie Familie?«
    »Frau und zwei Töchter.«
    »Drei Frauen.«
    »Die alle drei seit einer Weile pubertieren.«
    Toni lachte leise.
    In den Büschen und Bäumen surrten Zikaden. Ein feiner, süßlicher Geruch lag in der Luft, Nachtjasmin, hatte Madjer erklärt. Richter gähnte, leerte seine Tasse. Die Töchter gingen auf Demonstrationen gegen Rüstungsexporte und verlangten von ihm »moralisches Verhalten«. Sie hatten keine Ahnung von der Welt. Davon, wie wichtig Stabilität war.
    Vor allem Algeriens Stabilität.
    Ein demokratischer arabischer Mittelmeerstaat mit europäischer Vergangenheit, immensen Öl- und Erdgasvorkommen, reich und quasi ohne Auslandsschulden, mit der Sahara, in der in ferner Zukunft durch Solarkraftwerke ein Gutteil des europäischen Stroms produziert werden könnte. Doch Algerien war umgeben von Krisenländern wie Libyen, Tunesien, Mali, Westsahara, von innen bedroht durch al-Qaida, islamistische Parteien, Autonomiebestrebungen der Berber, Unruhen im Gefolge des Arabischen Frühlings in anderen Ländern. Sicherheit entstand hier nicht durch fromme Wünsche. Das verstanden die Töchter noch nicht. Und so forderten sie den Vater heraus, wie man es in der Pubertät eben tat.
    Und seine Frau …
    Seine Frau besuchte an den Wochenenden Reiki-Seminare. Kürzlich war sie in den Dritten Grad eingeweiht worden und konnte nun auch im astralen Bereich arbeiten. Richter hatte ihr so begeistert wie möglich gratuliert und ihr auch die Ausbildung zum Vierten Grad geschenkt.
    Die Töchter hatten gefragt, wie man mit Blutgeld spirituelle Reinheit erreichen wolle. Seine Frau hatte erwidert, auf diese Weise bringe das Blutgeld wenigstens Gutes. Richter hatte schweigend auf seine bloßen Unterarme gestarrt und verfolgt, wie die Gänsehaut kam. Noch nie hatte er sich so verletzt gefühlt.
    Er wandte sich Toni zu. »Wohin gehen Sie, wenn Sie frei haben?«
    Toni lächelte. »Was genau wollen Sie wissen?«
    »Wovon Sie abhängig sind. Wen Sie brauchen, um leben zu können.«
    »Niemanden, der nicht austauschbar wäre.«
    »Heute Abend ich, heute Nacht eine Prostituierte?«
    Toni nickte.
    »Und beide Namen haben Sie in ein, zwei Wochen vergessen.«
    »Ist nichts Persönliches.«
    Richter
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