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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben
Autoren: Carol O'Connell
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Wunden – es war wie ein Bild aus einem Horrorfilm.
    Mallory besah sich die Ermordete so ungerührt, als habe sie irgendein beliebiges Möbelstück vor sich.
    »Jetzt sie.«
    »Die hat schon so gelegen, als ich gekommen bin.«
    »Hast du sonst noch was angefaßt?«
    »Nein. Von dem Mann hab ich noch die Taschen durchsucht, dann bin ich abgehauen. Die Brieftasche ist da hinten.« Er deutete auf einen Haufen Müll und Schutt in einer Ecke. Die Brieftasche lag auf einem eingerissenen grünen Müllsack.
    Slope nickte einem Mann von der Spurensicherung zu, deutete zu dem Müllsack hinüber und schrieb etwas in sein Notizbuch.
    »Sie da!« Mallory rief den Mann heran. »Haben Sie dem Jungen die Fingerabdrücke abgenommen?«
    Der Spurenspezialist wies ihr die in Feldern eingeteilte Karte mit den schwarzen Farbklecksen vor.
    Sie wandte sich an Martin, den Polizisten, der den gefesselten Jungen an einem mageren Arm festhielt.
    »Ich brauch ihn nicht mehr. Lassen Sie ihn gehen.«
    Slope unterbrach seine Untersuchung, sah dem jungen Polizisten ins Gesicht, sah das Unglück kommen.
    »Es war Leichenfledderei, Mallory«, sagte Martin. »An Markowitz, verdammt noch mal. Und den lassen Sie laufen?«
    »Abgemacht ist abgemacht. Also los jetzt.« In Mallorys mühsam beherrschter Stimme schwang ein eindeutiges »Und untersteh dich, unverschämt zu werden, mein Junge« mit. Sie schien zu wachsen, als sie auf Martin zuging. Eine Illusion, gewiß, aber trotzdem fast beängstigend. Slope überlegte, ob sie sich dessen bewußt war. Anzunehmen, dachte er.
    Martin beeilte sich, den Schlüssel herauszuholen, und beugte sich über die Handschellen. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen. Gleich darauf war der Junkie verschwunden.
    Sehr praktisch gedacht, Kathy. Pure Zeitverschwendung, so einem den Prozeß zu machen.
    Mit dem verfassungsmäßigen Recht des Jungen auf einen Rechtsbeistand hatte sie sich vermutlich nicht aufgehalten, und über sein Recht zu schweigen war sie offenbar ebenso großzügig hinweggegangen.
    Jetzt wandte sie sich an den Fotografen. »Okay, alles klar. Shoot!«
    Geblendet von dem Blitzlicht ging Slope auf die beiden Mordopfer zu. Er streifte der toten Frau Plastiktüten über die Hände, dann sah er zu Mallory auf. »Ich kann anfangen, sobald du sie freigibst.«
    »Ist es bei der Frau nach demselben Muster gelaufen wie bei den anderen beiden?«
    »Ja.«
    »Nehmen Sie sich zuerst Markowitz vor. Von der Frau verspreche ich mir nichts Neues.«
    »In Ordnung.«
    »Können Sie mir jetzt schon etwas sagen? Seit wann sind die beiden tot?«
    Erstaunlich, diese Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter. Er wußte natürlich, daß sie nicht blutsverwandt waren, trotzdem war sie ganz Louis nachgeschlagen.
    »Zwei Tage, kann auch etwas mehr oder etwas weniger sein. Bei der Hitze und dem Grad der Zersetzung kann ich es allenfalls auf fünf oder sechs Stunden genau bestimmen. Die Morde sind in jedem Fall bei Tageslicht begangen worden. Wie gehabt.«
    »Wie lange hat Markowitz noch gelebt?«
    »Nach dem Blutverlust tippe ich auf eine halbe bis eine Stunde. Wahrscheinlich wäre er ohne ärztliche Versorgung früher oder später sowieso an der Stichverletzung gestorben, aber die unmittelbare Todesursache war ein schwerer Herzinfarkt.« Markowitz hatte schon früher ein paarmal mit dem Herzen zu tun gehabt. Diesmal hatte es ihn mit voller Wucht erwischt.
    »Er wußte also, daß er sterben würde.«
    »Ja.« Das ging ihr unter die Haut. Er sah, wie sich ihre Augen verschleierten. Louis Markowitz hatte in der letzten Stunde seines Lebens Angst gehabt und Schmerzen gelitten.
    Ziemlich beschissen, diese Welt, nicht wahr, Kathy?
    Laut sagte er: »Der Mörder hat sich nicht lange mit ihm aufgehalten. Die Frau interessierte ihn offenbar mehr. Markowitz hat Verletzungen an den Armen, vermutlich hat er versucht, seinen Angreifer abzuwehren. Und die Stellen, an denen die ersten Blutspritzer ihn getroffen haben, lassen darauf schließen, daß er sich zwischen die Frau und ihren Mörder geworfen hat.« Mallorys Blick verschwamm – erste Anzeichen eines leichten Schocks. »Kann ich etwas für dich tun, Kathy?«
    Sein erster Fehler war, sie im Dienst beim Vornamen zu nennen, der zweite sein gütig-väterlicher Ton. Beides brachte ihm die Verachtung der versammelten Mannschaft ein. Wie kann man nur so blöd sein, sagte das lastende Schweigen der Uniformierten, der Techniker, des Fotografen.
    »Sind Sie hier fürs erste fertig?« Ihr Blick war wieder
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