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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben
Autoren: Carol O'Connell
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klar, kalt, nüchtern.
    Er nickte, und Mallory wandte sich an die Fahrer des Leichenwagens. »Packt ihn ein und schafft ihn weg.« Sie sah in die Ecke. »Und die da?«
    »Sie hat nur noch ein paar Minuten gelebt.«
    »Einpacken.«
    Und dann schickte sie alle fort, die nicht mehr gebraucht wurden – einschließlich alter Freunde der Familie. Dr. Slope ging noch vor seinem Team. Der Weg aus dem Haus und hinaus ans Licht kam ihm viel länger vor als der Weg hinein.
    Sergeant Kathleen Mallory saß auf dem einzigen Stuhl, der im Zimmer stand, während die Leute von der Spurensicherung auf Händen und Füßen herumkrochen und nach Fasern und Haaren suchten, nach Körnchen und Stäubchen, nach all den Winzigkeiten, die als Beweismittel dienen konnten. Ihr Blick ging der Blutspur nach. Dort an der Tür war er hingefallen.
    Wie ist es möglich, daß du tot bist?
    Dann war er aufgestanden und hatte sich an der blutbeschmierten Wand entlang zum Fenster geschleppt.
    Hast du um Hilfe geschrien, hier in dieser Gegend, wo keiner was hört, keiner was sieht?
    Am Fenster, dort, wo die größte Blutlache sich im Staub ausbreitete, war er dann zusammengebrochen und gestorben. Aber es hatte gedauert. Er hatte Zeit zum Nachdenken gehabt.
    Was hast du mit dieser Zeit angefangen? Was hast du hinterlassen? Nichts?
    Sie sah auf, als sie ihn in einem schwarzen Plastiksack wegschleppten.
    Ein kleines Notizbuch lag aufgeschlagen in ihrem Schoß. Mit einer entschlossenen Bewegung strich sie, was sie sich über Markowitz’ Wagen notiert hatte. Er war wahrscheinlich gestohlen worden. In den zwei Tagen, die sie schon nach ihm suchte, war das Fahrzeug auf keiner einzigen Sammelstelle für abgeschleppte Wagen aufgetaucht. Vermutlich war es inzwischen längst umgespritzt und in Jersey gelandet.
    Warum bist du allein ins Haus gegangen?
    »Hat sich offenbar gewehrt«, schrieb sie auf ein leeres Blatt. Er war demnach dem Täter ohne Rückendeckung gefolgt. Warum?
    »Weil die Frau in Lebensgefahr war«, schrieb sie in ihrer klaren, leserlichen Schrift. Sie konnte davon ausgehen, daß er zu Fuß gewesen war, sonst hätte er über Funk Unterstützung anfordern können. Demnach war der Täter auch zu Fuß gewesen.
    Die Feder kratzte wieder über das Papier. »Keine Entführung mit dem Wagen.« Der Mörder hatte sich mit der alten Frau ein gutes Stück vom Gramercy Park entfernt verabredet und war damit vom Muster der anderen beiden Morde abgewichen. Ein Taxifahrer mußte die Tour in seinem Fahrtenbuch haben. Eine reiche alte Frau nimmt nicht die U-Bahn oder den Bus und hätte sich in dieser Gegend auch nie allein mit einem Unbekannten verabredet. Sie hatte ihren Mörder gekannt.
    Demnach hatte Markowitz die mysteriösen Parkmorde durchschaut. Alter Fuchs! Aber warum hatte er sein Wissen für sich behalten? Und seit wann blieb ein Kriminalbeamter im Range von Louis Markowitz einem Verdächtigen höchstpersönlich auf den Fersen?
    Einer der Techniker sah kurz in ihre Richtung und schnell wieder weg.
    Hatte er nach Tränen gesucht, nach Anzeichen eines bevorstehenden Zusammenbruchs? Pech für ihn. Sie würde keinen Sonderurlaub brauchen. Wenn nicht Commissioner Beale, dieser Armleuchter, sie per Dienstbefehl nach Hause schickte. Und dann?
    Der Geruch der Toten hing noch im Raum. Es war kein so sauberes Sterben gewesen wie bei Markowitz. Der Mörder hatte den Darm durchstochen. Bis auf ein paar erboste Tiefflieger hatten sich die Fliegen zerstreut, als sie keine Nahrung mehr fanden. Summend und brummend, schwarz und schwer von Blut schossen sie an Mallorys Ohr vorbei durch das kaputte Fenster. Sekunden später war die ganze Wolke auf und davon. Jetzt hörte man nur noch das leise Wischgeräusch des Pinsels, mit dem der Mann zu ihren Füßen in Staub und angetrocknetem Blut nach Zeichen suchte.
     
    »Ich hätte wohl so spät gar nicht mehr anrufen dürfen.«
    »Doch, Mr. Lugar, Sie haben es ganz richtig gemacht.«
    Der schlaftrunkene Rabbi und der Nachtwächter waren beide Ende Fünfzig und hatten schütteres Haar, damit aber hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Der Wachmann hatte verhuschte Bewegungen und glich einem Bierfaß auf streichholzdünnen Beinen. Der Rabbi war schlank und hochgewachsen, bewegte sich mit selbstverständlicher Sicherheit und sah ein bißchen aus wie ein abgeklärter alter Kater. Seine Lider waren schwer. Ergebnis einer schlaflosen Nacht.
    Der Wachmann blickte mit einem Ruck zu dem Rabbi hoch. »Aber Sie sollten das arme Ding nur
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