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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben
Autoren: Carol O'Connell
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machen, was sie gerade in Gang gebracht hatte. Sie hob den Kopf. Ein paar Stufen über ihr stand Jack Coffey. Hinter ihm winkte ein uniformierter Kollege Henrietta Ramsharan, sich in den Hausflur zurückzuziehen, und machte ihr die Tür vor der Nase zu.
    »Mallory?« Coffeys Blick erfaßte das schwarze Loch in ihrer Bluse und den Revolver, der zwischen ihren Fingern baumelte. Als er ihr Gesicht sah, krampfte er eine Hand um das Treppengeländer.
    Sie nagelte ihn mit den Augen auf seiner Stufe fest. Nur noch eine Sekunde.
    Unten fiel ein Schuß.
    An Mallory vorbei stürmten Jack Coffey und sein Kollege mit gezogener Waffe die Treppe hinunter zur Kellertür.
    Mallory lehnte schlaff an der Treppenhauswand. Später hätte sie nicht mehr genau sagen können, wie viel von all dem sie geplant hatte.
    Geschenkt.
    Sie ging die Treppe hoch. Dabei kamen erst ihre Gedanken und dann ihre Füße ins Stolpern. Blindlings kämpfte sie sich weiter nach oben. Der Magen rebellierte, das Herz raste, der Kopf hatte das Geschehene noch nicht verkraftet, und im Grunde war es ihr in diesem Moment höchst gleichgültig, ob und wie tief sie fiel.

 

     
    Mrs. Ortega sah sich mit dem kundigen Blick der kompetenten Putzfrau im Krankenzimmer um, während sie die rosa Geranien in einem leeren Wasserglas auf den Nachttisch stellte. Sie zog sich einen Stuhl ans Bett und hielt sich dabei von Mallory fern, so gut es eben ging.
    »Das ist aber nett von Ihnen«, sagte Charles. »Was für schöne Blumen.«
    »Plastik«, sagte Mrs. Ortega. »Die halten länger.«
    Charles schenkte ihr sein breitestes, verrücktestes Lächeln, und sie rückte rasch ein Stück vom Bett ab. Er ließ das Lächeln zu Mallory weiterwandern, die sich davon jedoch nicht aus der Fassung bringen ließ.
    »Ich gehe also davon aus, daß es ein Verkehrsunfall war«, sagte Charles. »Denn daß einem bei einem Unfall im Haus ein Stück Metall so nah am Herzen stecken bleibt, ist ja eher unwahrscheinlich.«
    Mrs. Ortega rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum und verdrehte die Augen.
    »Klingt plausibel«, sagte Mallory.
    »Willst du mir nicht wenigstens eine Andeutung machen?«
    »Es ist besser, wenn die Erinnerung ganz von selbst zurückkehrt, sagt Dr. Ramsharan. Kann sein, daß du dich nie mehr an alles wirst erinnern können. Vielen Traumapatienten ist die letzte Viertelstunde vor der Bewußtlosigkeit unwiderruflich abhanden gekommen.«
    »Und wie viele Traumapatienten haben einen Polizeiposten vor der Tür stehen?«
    »Du bist ein unentbehrlicher Zeuge in dem Verfahren um den Insiderskandal.«
    »Ich? Die Daten stammen alle aus deinem Computer.«
    »Manchmal können Erinnerungen auch zu schnell wiederkommen, Charles. Laß dir ruhig Zeit. Heute Nachmittag will ein Mitarbeiter der Börsenaufsicht vorbeikommen, um deine Aussage aufzunehmen. Wenn du nicht mehr weißt, woher du die Unterlagen hast, wäre mir das durchaus recht.«
    »In Ordnung. Aber verrätst du mir wenigstens, was sich in den letzten vierzehn Tagen draußen in der Welt getan hat? Sie lassen mich hier weder Zeitung lesen noch fernsehen.«
    »Der Skandal um die Insidergeschäfte ist weitgehend geklärt. Das Beweismaterial ist so eindeutig, daß die meisten Beschuldigten zu einer Aussage bereit sind, um mit einer milderen Strafe davonzukommen. Für die Anklagejury bleiben nur noch einige wenige harte Brocken übrig.«
    »Und was ist mit Edith?«
    »Gegen Kaution freigekommen«, sagte Mrs. Ortega hilfsbereit.
    »Was?«
    Unter Mallorys Zorn sprühendem Blick verschlug es Mrs. Ortega die Sprache.
    »Die Beschuldigten sind alle äußerst auskunftsfreudig«, sagte Mallory. »Edith hat offenbar nicht schnell genug geschaltet, deshalb hat man sie wohl auch etwas unsanfter angefaßt.«
    Mrs. Ortega konnte nur darüber staunen, wie geschickt Mallory die schlagzeilenträchtige Mordanklage gegen Edith Candle unter den Teppich gekehrt hatte.
    »Was wird man mit ihr machen?«
    »Wie ich höre, hat sie den besten Anwalt, den man für Geld bekommen kann. Du bist müde, Charles. Wir gehen jetzt. Heute Abend bringe ich dir deine Zeitschriften vorbei.«
    Mallory stand auf und warf Mrs. Ortega einen vielsagenden Blick zu. Die Putzfrau sprang auf, folgte ihr auf den langen weißen Flur hinaus und bewegte flink die kurzen Beine, um sie einzuholen. Nicht, daß sie besonderen Wert darauf gelegt hätte, einer Kriminalen – zumal dieser Kriminalen! – so nahe zu sein, aber sie brauchte eine Antwort auf eine ganz bestimmte
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