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Ein orientalisches Maerchen

Ein orientalisches Maerchen

Titel: Ein orientalisches Maerchen
Autoren: Helen Brooks
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aufsteigen, und ihr Puls raste so schnell, dass sie fürchtete, erneut ohnmächtig zu werden. Was war bloß mit ihr los? War sie immer so misstrauisch bei Fremden oder speziell nur Männern gegenüber?
    Frustriert ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Wenn sie sich doch wenigstens an irgendetwas erinnern könnte!
    „Gibt es hier vielleicht einen Spiegel?“, fragte sie matt.
    „Keine Sorge, Ihr Gesicht hat bei dem Überfall nicht gelitten. Wenn Sie mich fragen, Sie sehen …“
    „Wie ich aussehe, ist mir völlig egal“, fiel sie ihm brüsk ins Wort und zuckte vor Schmerz zusammen, weil sie ihren Kopf unvorsichtigerweise wieder zu heftig bewegt hatte. „Ich wollte nur sehen … ob ich mich erkenne“, sagte sie seufzend.
    „ Eh bien, wenn Sie unbedingt wollen, gehe ich zur Schwester und sage ihr, dass Sie ihre Hilfe brauchen“, sagte er ungewöhnlich sanft. Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch einmal um. „Ich werde sie gleich zu Ihnen schicken. Einverstanden?“
    Abwehrend hob Kit die Hände, nickte dann aber doch. Was blieb ihr auch übrig? Wie es aussah, wäre Sie wohl nicht bis ins Badezimmer gekommen, hätte sie versucht, allein dorthin zu gehen. Aufstöhnend ließ sie sich zurück in die Kissen sinken. Am liebsten hätte sie nur noch geheult. Das durfte doch alles nicht wahr sein!
    Nur leider war es so: So wenig sie es auch begreifen konnte, Kit musste sich damit abfinden, dass sie wohl als Touristin in diesem Land war, das sie nicht kannte. Aber wohnte sie in einem Hotel oder in einer Ferienwohnung? Hatte die Polizei schon etwas herausgefunden, jemand sie vermisst gemeldet? War sie verheiratet? Hatte sie womöglich sogar ein Kind?
    Unzählige Fragen, nach deren Antworten sie sich sehnte. Fast verrückt machte es sie, dass auch niemand anders ihr sagen konnte, wer sie war.
    Und was war mit Gerard Dumont?
    Seine Blicke hatten manchmal eine fast unheimliche Wirkung auf sie, obwohl – oder weil? – er ein starker Mann war und ihm ein solcher Überfall wohl kaum widerfahren wäre. Auf jeden Fall aber hätte er sich zu wehren gewusst und keine Angst gehabt, physisch unterlegen zu sein. Überhaupt, Männer! Wussten die eigentlich, was es bedeutete, hilflos zu sein? Sie benutzten Frauen doch nur, um ihr eigenes Ego aufzupolieren …
    Verstört hielt Kit inne. Aufregung erfasste sie. Offensichtlich gab es etwas in ihrer Vergangenheit, irgendeinen dunklen Fleck, der ihre Beziehung zu Männern betraf. Warum sonst kam sie auf solche Gedanken?
    Verzweifelt kniff sie die Augen zusammen. Verdammt, sie musste sich erinnern!
    Ganz fest kämpfte sie gegen die Panik, die in ihr aufstieg. Als die Verzweiflung sie zu überwältigen drohte, ging zum Glück die Tür auf. Die Krankenschwester lächelte so herzlich, dass Kit sich gleich besser fühlte und gern der tatkräftigen Frau um den Hals gefallen wäre. Vielleicht war die Zukunft ja doch heller, als sie es sich im Moment ausmalen konnte.
    Mit geübten Griffen half die Schwester ihr in den bereitgelegten Morgenmantel und führte sie langsam ins Badezimmer. „Aber nicht abschließen! So sicher stehen Sie mir noch nicht auf den Beinen“, drohte sie mit erhobenem Zeigefinger, zwinkerte dabei Kit aber freundlich zu.
    Sie lächelte zaghaft und nickte. Nachdem die Marokkanerin die Tür geschlossen hatte, trat Kit vor das Waschbecken und betrachtete prüfend ihr Spiegelbild: Ihre silbergrauen Augen mit dichten dunklen Wimpern, die ihr weit aufgerissen entgegenstarrten. Ihre wohlgeformte Nase, ihre vollen Lippen und ihre alabasterfarben schimmernde Haut. Den kleinen Schwarm Sommersprossen, der sich auf ihren Wangen und ihrer Nase verteilte … das seidig glänzende kastanienrote Haar. Fransig kurz geschnitten umrahmte es schlicht ihr Gesicht. Ja, Kit musste zugeben, die Frau, die ihr da im Spiegel entgegenblickte, sah ganz passabel aus. Nur leider lieferte sie ihr nicht den geringsten Hinweis auf ihre Vergangenheit. Sie kannte das Gesicht im Spiegel schlichtweg nicht.
    Was sollte sie tun? Vorhin, als sie gemeinsam mit der Krankenschwester zum Badezimmer gegangen war, hatte sie fest daran geglaubt, irgendwann in diesem fremden Land – ob mithilfe der Polizei oder der Unterstützung von Gerard Dumont – ihre Identität wiederzufinden. Aber da war wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen.
    Je mehr sie sich anstrengte, ihrer Vergangenheit auf die Spur zu kommen, desto weiter schien sie sich ihr zu entziehen. Und der Mann, der ihr bisher dabei zur Seite stand, war
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