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Ein nackter Arsch

Ein nackter Arsch

Titel: Ein nackter Arsch
Autoren: Christian Bauer
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haben Sie sich verdient.“
    Wie lange der Kommissar mit offenem Mund dagestanden hatte, er wusste es nicht. Jedenfalls hatte Duchene bereits aufgelegt. „Also nichts wie raus aus dem Kommissariat“, dachte Simarek, checkte aber zuvor noch im Internet die Zugverbindungen nach Köln. Die letzte Möglichkeit heute war kurz vor einundzwanzig Uhr. Das erschien ihm zu hektisch, er hatte noch ein paar Dinge zu erledigen. Aber wenn er am nächsten Morgen um halb sechs in den Zug stiege, dann wäre er um neun in Köln, und er und Evi hätten zwei ganze Tage miteinander vor sich. Evi hatte zwar gar nicht auf seinen Anruf reagiert, sie hatte seiner Absicht, nach Köln zu kommen, aber auch nicht widersprochen. Simarek wusste, sie wartete darauf, dass er sein Versprechen wahr machte.

    Als er an der Tür zum Pfarrhaus klingelte, war die Abendmesse bereits vorbei. Hassdenteufel machte beim Anblick des Kommissars ein erfreutes Gesicht und bat ihn herein. Ein Glas Rotwein und ein Zigarillo würden Simarek guttun, das sah der Pastor sofort.
    „Bist du allein?“, fragte Simarek und bemerkte am Gesichtsausdruck des Pastors sofort, dass dieser seine Gedanken richtig interpretiert hatte, weshalb er gleich versuchte, den Fauxpas zu reparieren: „Ich meine, kein Beichtgespräch, keine Eheanbahnung, keine aufgebrachten Schäfchen aus der ersten Reihe der Gemeinde oder so?“
    Hassdenteufel lächelte. „Nein, und auch keine Anna, mit der man so schön über Gott und die Welt streiten kann. Wäre dir ihre Anwesenheit unangenehm?“ Die kleine Provokation saß.
    „Natürlich nicht, ich dachte nur… vielleicht dachte ich auch gar nicht.“
    „Hast du deinen Fall gelöst?“
    Simarek war dankbar, dass der Pastor das Thema wechselte. Er war schon feinfühlig, der geistliche Freund, und natürlich auch neugierig, das wusste der Kommissar. Er hatte es schon viele Male so erlebt. Simarek erzählte, und Hassdenteufel hörte aufmerksam zu. Er verstand den Kommissar und auch dessen inneren Konflikt, weil dieser in seinen Empfindungen dem Täter gegenüber durchaus ambivalent war.
    „Du meinst, er ist ein Mörder, aber er hatte einen guten Grund?“, brachte Hassdenteufel das Problem auf den Punkt und formulierte absichtlich über das Ziel hinaus.
    „Du weißt, dass es keinen guten Grund für einen Mord gibt. Und ich weiß das erst recht. Und trotzdem verstehe ich Jacques Desgranges. Dass ein Ereignis aus der Vergangenheit das ganze Leben nachwirkt und dass er am Ende seines Lebens beschließt, aus seiner Sicht reinen Tisch zu machen.“
    „Er konnte nicht verzeihen, eine Schwäche, die menschlich ist, die aber auch tödlich sein kann. Das ist das Dilemma dieser Welt.“
    Simarek wusste, Hassdenteufel wollte keine Predigt halten, auch wenn er diesen Satz bestimmt schon einige Male auf der Kanzel von sich gegeben hatte. Er war ja deshalb auch nicht falsch.
    „Hass ist eine Triebkraft, die mir in meinem Job immer wieder begegnet“, sagte der Kommissar. „Aber ebenso der Umstand, dass es Menschen gibt, die diesen Hass auch auf sich ziehen. Wenn du so willst, dieser Schmidtbauer war wirklich ein Arsch. Und jetzt komm mir bloß nicht mit ‚Man soll über Tote nichts Schlechtes sagen’.“
    „Das hat Desgranges mit seiner Aktion ja auch allen zeigen wollen. Sehet, welch ein Arsch. Und dass Schmidtbauer nackt am Ufer der Saar endet, damit hat Desgranges für mich nicht nur eine alte Geschichte noch einmal erzählt. Letztendlich zeigt es, dass wir am Ende unseres Lebens alle nur nackt und bloß sind. Das gilt aber auch für Desgranges selbst, auch wenn er das wahrscheinlich in diesem Moment nicht verstanden hat.“
    Simarek seufzte und kratzte sich am Handrücken. Natürlich hatte der Pastor mit seinen grundsätzlichen Erwägungen wie so oft Recht.
    „Weißt du“, fuhr Hassdenteufel fort, „ich frage mich oft, ob das in unserer Generation schon besser geworden ist.“
    „Was meinst du?“ Simarek war überrascht von der Wendung, die das Gespräch nahm.
    „Na ja, du hast erzählt, Desgranges habe seine schlimme Erfahrung ein Leben lang mit sich rumgetragen. In sich hineingefressen, oder wie er selbst gesagt hat ‚verdrängt’. Ein innerer Konflikt also, der nie bearbeitet wurde und deshalb eine zerstörerische Kraft entwickeln konnte, die sich jetzt Bahn gebrochen hat.“
    Hassdenteufel hatte eine Runde Lepantos spendiert, zog jetzt an einem Zigarillo und blies den Rauch andächtig in die Luft. „Und ich frage mich, ist unsere
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