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Ein nackter Arsch

Ein nackter Arsch

Titel: Ein nackter Arsch
Autoren: Christian Bauer
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der Ring war in diesem Moment die einzige Chance, einen kleinen Zipfel des Geheimnisses zu lüften, das die leicht duftende Leiche umgab. In dem fahlen, notdürftigen Licht, das der Mond und zwei Baustellenlampen aus dem Streifenwagen spendeten, konnte Simarek einen verblassten Schriftzug erkennen: „Lisette 21.08.1964“.
    Das war doch was. Wenn Lisette seine Frau war, dann würde sie wohl eine Vermisstenanzeige aufgeben. Und sonst könnten auch die Kollegen recherchieren, welche französischen Lisettes im Jahre 1964 in Saarbrücken und Umgebung geheiratet hatten, vorausgesetzt, der Tote stammte überhaupt aus der Gegend. Diese Ermittlungen mussten allerdings bis Montag warten, denn das Standesamt würde nicht wegen der Polizei seine Öffnungszeiten ändern.
    Simarek ließ den Ring in seine Hosentasche gleiten. Für den Moment hatte er alles, was an diesem Ort an Material und Erkenntnis zu gewinnen war. Er prägte sich das Bild des nackten Mannes, den Geruch und die Szenerie so genau wie möglich ein. Den Rest würde die Spurensicherung erledigen. Und manchmal brachten selbst die etwas zustande.
    Langsam näherten sich auf dem schmalen Pfad am Saarufer drei Fahrzeuge. Wenn man vom Teufel sprach oder wenigstens an ihn dachte…
    Tom Laux, der Leiter der Spurensicherung, sprang aus dem ersten Wagen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Na, Robert, schon wieder Erster?“
    Über die Todesursache würde Simarek frühestens am späten Nachmittag etwas erfahren. Er wusste nicht, welcher Rechtsmediziner Dienst hatte. Dr. Beutler war der umgänglichere. Dafür aber extrem langsam – er selbst nannte das „gründlich“. Dr. Fischmayr machte seinem Namen alle Ehre. Sein Mund erinnerte an ein Karpfenmaul, das ständig leicht geöffnet und in Bewegung war und stumm die Schlechtigkeit der Welt zu beklagen schien.
    „Nun sehen Sie sich das wieder an!“, war sein Lieblingssatz. Meistens hörte ihn Simarek, wenn er nach der Obduktion eines Opfers kurz in der rechtsmedizinischen Abteilung vorbeischaute, um sich die Ergebnisse erläutern zu lassen. Fischmayr war grantig und derb. Sein Job ließ nicht viel Raum für Umgangsformen. Aber er war schnell und präzise, auch am Samstag. Simarek hoffte, dass ‚Fischmaul‘, so nannte nicht nur er ihn insgeheim, heute Dienst hatte. Gegen Mittag wollte er in der Rechtsmedizin anrufen und nachfragen. Bis dahin würde auch sein Kopf endlich klar sein.
    Vielleicht sollte er Evi noch schnell anrufen. Aber irgendetwas sagte ihm, dass das im Moment keine gute Idee war. Der Blick auf die riesige Uhr der Bankenzentrale verriet ihm auch, warum. Gerade mal sechs Uhr dreißig. Evi schlief wahrscheinlich noch tief und fest.
    Er nahm den Rückweg über die Wilhelm-Heinrich-Brücke. Dort begegnete ihm ein Paar, ein letztes Überbleibsel der Nacht. Der Mann hatte die Frau untergehakt, und beide blickten sie auf den fahlen Mond, der noch über der Stadt stand und sich im Wasser des Flusses spiegelte. Sie lehnten, jung und verliebt, am Brückengeländer, küssten sich zuweilen, unterbrochen nur von neckischem Gelächter zwischendurch. Die morgendliche Kühle schien die beiden nicht zu stören.
    „Ach ja“, seufzte der Kommissar und ging an ihnen vorbei, ohne den Schritt zu verlangsamen. „Gefühle!“
    Gefühle? Sein Bauch sagte ihm eindeutig: „Hunger.“
    „Morgen, Pit!“
    „Du so früh? Laß mich raten, ’ne Leiche.“
    „Nee, einen großen Kaffee und zwei Croissants.“
    „Natur oder Schokolade?“
    „Wie immer!“ Der Kommissar hielt wenig von Croissants, die mit irgendwelchen klebrigen Massen gefüllt waren.
    „Milch?“
    „Seh ich vielleicht krank aus?“ Das Ritual der Bestellung war damit abgeschlossen.
    „Also sag schon…“
    „Pit, du bist neugierig. Normalerweise stellt die Polizei hier die Fragen.“
    „Jawohl, Herr Kommissar, aber wenn du hier schon um halb sieben reinschneist, dann bestimmt nicht, weil man dich aus der Disco rausgeschmissen hat.“
    „Liest du am Montag alles im Saarbrücker Morgen . Apropos, hast du die Ausgabe von heute schon da?“
    „Gibt heute keine. Die streiken doch!“
    „Warum?“
    „Keine Ahnung, irgendwas mit Outsourcing. Schnellere Druckmaschinen direkt hinter der Grenze in Forbach. Das kostet hier Arbeitsplätze und deshalb streikt die komplette Belegschaft. Sogar die Journalisten.“
    „Du bist ja gut informiert!“
    „Ich halte Augen und Ohren offen! Vielleicht sollte ich eine regionale Nachrichtenagentur aufmachen. So
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