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Ein Moment fürs Leben. Roman

Ein Moment fürs Leben. Roman

Titel: Ein Moment fürs Leben. Roman
Autoren: Cecelia Ahern
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nicht.«
    »Hätte leicht passieren können.«
    »Ist es aber nicht.«
    Schweigen.
    Ich drehte mich um und wankte auf meinen hohen Absätzen durchs Gras zu den Steinstufen. Mittendrin gab ich auf, kickte die Schuhe weg, und unter meinen bloßen Füßen fühlte sich der Stein wunderbar sonnenwarm an. Inzwischen hatte Edith die Vase von der Bar geräumt, aber ich war froh darüber, denn nun hatte ich eine Aufgabe, mit der ich die Zeit totschlagen konnte. Im Kopf rechnete ich kurz nach, dass von meiner verspäteten Ankunft bis zu der jetzigen Blumen- beziehungsweise Vasenunternehmung immerhin schon zwanzig Minuten der gefürchteten zwei Stunden verstrichen waren.
    »Edith«, rief ich halbherzig, denn nur ich selbst konnte mich hören, während ich von einem Zimmer zum nächsten eilte und mich immer weiter von der Küche entfernte, obwohl ich wusste, dass ich sie dort bestimmt finden würde. Es gab fünf große Zimmer, die auf den Garten hinausgingen – eines stammte aus der Zeit des berühmten betrunkenen Schriftstellers, zwei vom ursprünglichen Haus und noch mal zwei von der deutschen Bierfamilie. Als ich alle diese Räume, die mit großen Flügeltüren verbunden waren, durchquert hatte, trat ich auf den Korridor hinaus und machte kehrt. Auf der anderen Seite des Ganges sah ich die großen Walnussholztüren zum Arbeitszimmer meines Vaters weit offen stehen. Hier hatte der berühmte Schriftsteller seinen berühmten Roman geschrieben. Hier wühlte sich mein Vater durch endlose Papierberge. Manchmal fragte ich mich, ob das Papier nicht vielleicht leer war und er einfach das Gefühl von Papier liebte. Vielleicht hatte er ein Nervenleiden, das durch den Kontakt mit Papieren gelindert wurde, und deshalb musste er sie ständig anschauen, berühren und umblättern.
    Mein Vater und ich stehen uns sehr nah. Manchmal sind unsere Gedanken so ähnlich, dass wir fast der gleiche Mensch sein könnten. Wenn Leute uns zusammen sehen, staunen sie über unsere Verbundenheit, über seinen Respekt vor mir und meine Bewunderung für ihn. Oft nimmt er sich einen Tag frei, holt mich in meiner Wohnung ab und nimmt mich mit auf ein Abenteuer. Schon als Kind hat er mich nach Strich und Faden verwöhnt, ich war ja seine einzige Tochter. Daddys Liebling, so nannten mich alle. Manchmal ruft er mich tagsüber an, nur um zu fragen, wie es mir geht, und zum Valentinstag schickt er mir Blumen und Karten, damit ich mich nicht einsam fühle. Er ist wirklich ein besonderer Mann. Wir haben wirklich eine ganz besondere Verbindung. Manchmal nimmt er mich an einem windigen Tag mit zu einem Gerstenfeld, ich ziehe mir ein Flatterkleid an, und dann rennen wir zusammen wie in Zeitlupe herum, oder er spielt das Kitzelmonster und versucht mich zu fangen, jagt mich im Kreis herum, bis ich ins Kornfeld falle, dessen Halme mich umwogen und sich in der Brise hin- und herwiegen. Wir haben so viel Spaß!
    Okay, das war gelogen.
    Wahrscheinlich hat man das spätestens an dem Bild mit dem Gerstenfeld in Zeitlupe gemerkt. Da hab ich wohl ein bisschen übertrieben. In Wirklichkeit kann mein Vater mich nicht ausstehen, und mir geht es umgekehrt genauso. Aber wir geben uns Mühe, einander zu ertragen, gerade genug, dass es irgendwie funktioniert, und auf diesem schmalen Grat balancieren wir, so gut es eben geht, dem Weltfrieden zuliebe.
    Er musste gemerkt haben, dass ich an seinem Büro vorbeikam, aber er blickte nicht auf, sondern blätterte die nächste rätselhafte Seite um. Unser Leben lang hatte er akribisch dafür gesorgt, dass sich diese Papiere nie in unserer Reichweite befanden, und ich war besessen davon herauszufinden, was darauf zu sehen war. Als ich zehn Jahre alt war, schaffte ich es endlich, mich eines Abends, als er vergessen hatte, die Tür abzuschließen, in sein Büro zu schleichen. Aber als ich die Papiere dann endlich mit wild klopfendem Herzen betrachten konnte, verstand ich kein Wort von dem, was daraufstand. Nichts als juristischer Fachjargon. Mein Vater war Richter am Obersten Gerichtshof, und als ich älter wurde, begriff ich, dass er einen hervorragenden Ruf hatte und einer der führenden irischen Strafrechtsexperten war. Seit seiner Berufung an den Obersten Gerichtshof vor zwanzig Jahren führte er bei Mord- und Vergewaltigungsprozessen den Vorsitz. Ein völlig humorloser Typ, dessen konservative Ansichten oft kontrovers diskutiert wurden. Wenn er nicht mein Vater gewesen wäre, hätte ich womöglich manchmal auf der Straße gegen ihn
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