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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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»Thesmophoriazusen«, daß manche Gekreuzigte nach zehn Tagen, die sie an die Balken »genagelt« waren, erst starben, als man ihnen den Schädel zerschmetterte. Rascher ging es jedoch — denn dazu mußte man nicht erst die Leiter holen — , wenn ihnen die Schienbeine gebrochen wurden. Die Beine der Gekreuzigten waren nämlich auf eine Art Holzklotz gestützt, an den ihre Füße gebunden oder genagelt waren. Sobald diese Stütze fehlte, hing der Körper nur noch mittels der Stricke oder Nägel an den Handgelenken; die Muskeln des Brustkorbs wurden dann so qualvoll gedehnt, daß der Erstickungstod bald eintrat.
    Manche Verbrecher, beispielsweise Piraten, berichtet die »Historia Augusta«, wurden vor der Kreuzigung gefoltert, um ihre Qualen noch zu erhöhen. Die üblichste Methode war dabei die Geißelung. Im Fall Jesus verfügen wir über einen wichtigen Hinweis, der aus dem Ma-kus-Evangelium hervorgeht. Als Josef von Arimathäa und Nikodemus am Vorabend des Passah-Festes vor Pilatus erschienen, um ihn zu bitten, ihnen den Leichnam des Gekreuzigten zu überlassen, wunderte sich Pilatus, daß dieser »schon tot war, und rief den Hauptmann und fragte ihn, ob er schon lange gestorben wäre« (Mark. 15, 44). Wahrscheinlicher jedoch ist, daß Pilatus den Zenturio vom hasmonäischen Palast aus — in dem er während seiner Aufenthalte in Jerusalem Quartier bezog — zum Golgota hinaufschickte, der direkt hinter der zweiten Schutzmauer, also kaum fünfhundert Meter entfernt, lag. Auch wenn man die Stufen zum Hügel hinauf mitberechnet, war der Bote wohl nicht länger als zehn Minuten unterwegs.
    Pilatus hatte tatsächlich allen Grund zur Überraschung. Den Zeugenberichten der Evangelisten gemäß war Jesus zwischen zwölf Uhr und zwölf Uhr dreißig ans Kreuz geschlagen worden. Nach den synoptischen Evangelien war er gegen drei Uhr dreißig, nach Johannes (dessen Aussage wir mehr Glauben schenken 17 ) um sechs Uhr tot. Fest steht, daß ihm nicht die Schienbeine gebrochen wurden. Überrascht von diesem früh eingetretenen, fast unerklärlichen Tod, stieß eine Wache auf dem Golgota die Spitze ihrer Lanze in Jesus’ Brust, um ihm eine tiefe Wunde zuzufügen. Da aber Jesus keinerlei Reaktion zeigte, hielt der Mann ihn für tot, was das Brechen der Schienbeine überflüssig machte. Daraufhin eilten Josef und Nikodemus, die diese Szene gewiß beobachtet hatten, zum Prokurator, um ihn um die Aushändigung des Leichnams zu bitten.
    Jene Wunde ist einige Bemerkungen wert. Zumindest in der christlichen Überlieferung wird allgemein behauptet, daß die Lanze das Herz durchbohrte. Johannes’ Beschreibung aber entspricht diesem Postulat nicht hundertprozentig. Johannes führt nämlich nicht genau an, in welche Seite und in welcher Höhe die Wache ihren Lanzenstich ausführte. Der Stich kann folglich ganz willkürlich als Gnadenstoß ins Herz ausgelegt werden. Ich bin jedoch der Meinung, daß Johannes, falls es sich tatsächlich um einen Stoß ins Herz gehandelt haben sollte, uns diese Tatsache nicht verschwiegen hätte.
    Johannes’ Beobachtungsgabe war nämlich sehr ausgeprägt, auch Einzelheiten entgingen ihm nicht. Er schreibt außerdem, daß eine große Menge Wasser und etwas Blut aus der Wunde floß. Ich möchte mich jetzt nicht über die Symbolik auslassen, die einige Autoren in diesem Bild zu erkennen glaubten. Der von Johannes beobachtete starke Wasserfluß deutet mit größter Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß die Lanze — die Lancea hatte eine flache, spitzzulaufende Klinge — nicht das Herz, sondern nur das Brustfell durchdrang. Aus dem Herzen wäre mit Sicherheit kaum Wasser geflossen. Das Wasser ist vielmehr Anzeichen für eine beginnende Rippenfellentzündung, hervorgerufen durch die Kälte, der der nackte Körper ausgesetzt wurde — in Palästina und Jerusalem ist es im März/April recht kalt wobei die ungeheure Dehnung der Brustmuskeln das Ganze noch verschlimmerte. An dem Blut, von dem Johannes außerdem berichtet, ist nichts Außergewöhnliches zu finden, es ist Blut, wie es aus jeder Wunde fließt.
    Nach Aussage eines von mir befragten Gerichtsmediziners kann jedoch die einem Leichnam zugefügte Wunde zum Erguß einer Art »Leichenblut« führen, eines Sekrets aus Serum und zersetztem Hämoglobin. Es handelt sich dabei um eine bräunliche Flüssigkeit. Wir wissen nicht, ob Johannes, der als einziger der vier Evangelisten sowohl bei Jesus’ Tod anwesend war als auch sein gesamtes Evangelium allein
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