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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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Konjunktion. Man kann sich daher von Thesen distanzieren, denen zufolge Jesus nur ein Mythos sein soll. Freilich legen uns diese Fakten auch nahe, den Evangelien gegenüber einen kritischeren Standpunkt einzunehmen. Obwohl sie auf vier reduziert wurden, um den Einwänden des gelasianischen Klerus Genüge zu tun, wimmelt es in den Evangelien von Widersprüchen. Das ist auch weiter nicht erstaunlich, wenn man weiß, daß die drei synoptischen Evangelien aus ein und derselben verlorenen Quelle hervorgehen (die gewöhnlich als Q bezeichnet wird, eine Abkürzung des deutschen Wortes Quelle), und daß das Johannes-Evangelium, das als einziges von einem Autor verfaßt wurde, wahrscheinlich um das Jahr 80 an seinem Lebensabend von Johannes selbst umgearbeitet wurde.
    Es gibt sehr wohl einige Autoren, die für Jesus’ historische Existenz plädieren, jedoch gleichzeitig jede Diskussion darüber ablehnen mit dem Argument, das Evangelium, in dem sich diese Beweise finden, sei eine Katechese und damit nicht hinterfragbar. Trotzdem steht für Philologen außer Zweifel, daß die Anfangserzählung aufgrund von Abschriften, die gegen Ende des 1. oder auch im 2. Jahrhundert erstellt wurden, viel an Genauigkeit eingebüßt hat. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß die Kopisten oft keine Ahnung von der Geschichte Palästinas zur Zeit Jesus’ hatten, ganz zu schweigen von den Ausschmückungen, mit denen sie die Texte versahen. Schon damals half man der Wahrheit gern ein bißchen nach. Neben den historischen Angaben in den Evangelien verfügen wir aber auch über Daten und Hinweise aus außerevangelischen Dokumenten, von denen zumindest gesagt werden kann, daß sie nicht immer mit der christlichen Überlieferung übereinstimmen.
    Auf verschiedene Einzelheiten, die nur eine untergeordnete Rolle in meiner Erzählung spielen, möchte ich nicht genauer eingehen; auf Jesus’ Geburtstag zum Beispiel, der meiner Meinung nach im Frühling anzusetzen ist, zur Zeit des Passah-Festes 16 , keinesfalls aber in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, in der ein altes heidnisches Fest, unter anderem auch der Sieg Mithras’ über die Finsternis gefeiert wird; oder auf die Anzahl der Jünger, bei der beharrlich an der symbolischen Zahl zwölf festgehalten wird, die sich jedoch auf vierzehn erhöht, wenn man sich die Mühe macht, alle von den Evangelisten genannten Namen zusammenzuzählen. Ich lege wesentlich mehr Wert auf eine genauere Untersuchung der letzten beiden historischen Angaben, die ich im Buch anführe und die für das Verständnis der Geschichte Jesus’, so wie ich sie mir niederzuschreiben erlaubt habe, unverzichtbar sind: Es handelt sich dabei um die Verurteilung und die Kreuzigung, deren Sachverhalte in den Evangelien bis zur Unverständlichkeit verzerrt wurden.
    Die Evangelien, aber auch die unzähligen Kommentatoren, die im Laufe der Jahrhunderte die Einzelheiten von Jesus’ Verhaftung, Verurteilung ebenso wie die Entscheidung, ihn ans Kreuz zu schlagen, diskutierten, haben dabei einen unglaublich sorglosen Umgang mit der geschichtlichen Realität an den Tag gelegt. Nur weil Herodes Antipas, Pilatus und der Sanhedrin mit derselben Verachtung betrachtet werden, wirft man sie in einen Topf, und alle drei werden für Jesus’ Tod am Kreuz verantwortlich gemacht. Jesus’ Prozeß wird von den Evangelisten wie eine Formalität abgehandelt, die schlicht und einfach zur Erfüllung des Opfertodes gehört.
    Nun muß aber daran erinnert werden, daß Jerusalem in der Provinz Judäa unter römischer Verwaltung stand, die in der Gestalt des Prokurators Pontius Pilatus repräsentiert wurde. Dieser hatte von Rom seit dem Jahr 6 für alle Angelegenheiten Judäas, die nicht gerade den jüdischen Glauben betrafen, die rechtsprechende und ausübende Gewalt übertragen bekommen. In Jerusalem gab es — ebenso wie in ganz Judäa — eine römische Ordnungsmacht. Die Befugnisse des Sanhedrin waren also auf religiöse Angelegenheiten beschränkt. Die Tempelpolizei hatte einen sehr kleinen, im wesentlichen auf den Umkreis des Tempelbezirks begrenzten Wirkungsbereich, zu dem auch die Vorladung von Beschuldigten und Zeugen gehörte.
    Wenn Johannes schreibt (18, 12), daß Soldaten und jüdische Tempelwachen Jesus verhafteten, so geschieht das weder aus Versehen noch aus Lust an Weitschweifigkeit. Es kann sich bei ersteren nur um römisches Militär handeln, da es gar keine anderen Truppen in Judäa gab. Und dies weist darauf hin, daß Pilatus
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