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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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sehr wohl von der Festnahme wußte. Da Pilatus Jesus aber von Anfang an nicht feindlich gesinnt zu sein schien, was auch in allen Evangelien deutlich zum Ausdruck kommt, mußte er also seine Soldaten in einer bestimmten Absicht ausgeschickt haben; ein einleuchtender Grund dafür wäre, daß er Jesus vor der Tempelpolizei schützen wollte. Auf meine Vermutung, die eine Erklärung für diese fürsorgliche Maßnahme liefern könnte, komme ich noch zurück. Jedenfalls hat noch kein Kommentator bemerkt, welch außergewöhnliches Faktum die Anwesenheit römischer Soldaten im Garten Getsemani darstellt.
    Lukas behauptet (23,6-12), daß Pilatus Jesus an Herodes, den damaligen Tetrarchen von Galiläa, ausgeliefert habe, als er erfuhr, daß Jesus Galiläer sei. Das klingt plausibel, muß aber doch stutzig machen. Zunächst einmal, weil ein möglicherweise von Herodes gefälltes Todesurteil nicht ohne Pilatus’ Zustimmung vollstreckt werden konnte. Herodes hatte keineswegs die Macht, irgend jemanden in Judäa ans Kreuz schlagen zu lassen. Dann aber auch, weil vorherzusehen war, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden: Der Sanhedrin verabscheute Herodes Antipas wie alle anderen Mitglieder der Dynastie der Herodeer. Herodes einen Feind des Sanhedrin anzuvertrauen hätte gleichsam bedeutet, diesen den geheimen Machenschaften des Hohen Rates zu entreißen, womit der über Jesus gefällte Urteilsspruch wirkungslos geblieben wäre. Auch diese Besonderheit wurde nie aufgedeckt. Jedenfalls muß Herodes von jeglicher Schuld an Jesus’ Verurteilung zum Tod am Kreuz freigesprochen werden: Er hat sich schlicht und einfach nicht in diese Angelegenheit eingemischt.
    Fest steht auch, daß die Mehrheit des Sanhedrin Jesus aufs heftigste bekämpfte und nach einer kaum ernstzunehmenden, mehr als fragwürdigen Verhandlung rasch das Urteil sprach. Kaiphas mußte die anderen siebzig Mitglieder dieser Versammlung zum Morgengrauen einberufen, und er lud sie nur deshalb so früh vor, weil er sich auf ernste Streitigkeiten gefaßt machte. Folglich gab er sich sechs Stunden Zeit, um dann möglicherweise ein Todesurteil fällen zu können — ein Scheinurteil wohlgemerkt, denn der Sanhedrin hatte nicht die Befugnis, ein Kreuz errichten zu lassen. Vielmehr mußte Pilatus die Genehmigung für das vom religiösen Gericht gefällte Urteil abgerungen werden. Wie aus den Evangelien hervorgeht, kam Pilatus dem Begehren des Hohen Rates alles andere als entgegen. Der Sanhedrin fühlte sich gedemütigt und griff zur erpresserischen Methode der Aufstandsdrohung, worauf Pilatus es mit der Angst zu tun bekam. Kein römischer Funktionär trug gern die Verantwortung für Unruhen in einer kaiserlichen Provinz (ebensowenig wie heutzutage ein Innenminister in seinem Land, und sei es auch unter einer Diktatur). Nach langem Hin und Her gab Pilatus nach, dem Anschein nach zumindest: Meinetwegen kreuzigt Jesus dann eben!
    Diese Hinrichtungsart erfreute sich im Römischen Reich überaus großer Beliebtheit. Tausende von Menschen wurden zum Tod am Kreuz verurteilt, ja, auch Juden, wie zum Beispiel der Hohepriester Alexander Jannai, belegten andere Juden mit dieser Strafe. Das Entsetzliche an ihr war das langsame, qualvolle Dahinsterben. In seiner »Etymologiae« erklärt Isidor von Sevilla, »daß die Kreuzigung eine schlimmere Strafe ist als der Tod durch den Strang. Denn der Galgen sorgt für den sofortigen Tod des Opfers, während das Kreuz die an ihm Hängenden lange martert«. Die Wunden an Händen und Füßen führten mit Sicherheit nicht zum Tod. Soldaten in allen möglichen Kriegen haben weit Schlimmeres überlebt, und man muß nur daran denken, daß die Soldaten, die Larrey * auf der Stelle und ohne Anästhetika — da es die noch nicht gab — amputierte, vor allem an Infektionen starben, da man auch noch nichts von aseptischer Wundbehandlung wußte. Der Gekreuzigte mußte neben der Schande, nackt und bloß vor den Schaulustigen zu hängen, die Qualen eines allmählich eintretenden Starrkrampfs der Brustmuskeln erleiden, der sich Tage hinziehen konnte, bevor endlich der Erstickungstod eintrat. Mehrere Tage hindurch konnte der Gekreuzigte folglich nur oberflächlich atmen. Manche Opfer hatten jedoch immer noch genug Kraft, um ihre Peiniger herauszufordern. In seinem Werk »De vita beata« läßt Seneca eine seiner Figuren sagen: »Haben einige von euch nicht von den Kreuzen herab auf die Zuschauer gespuckt?« Aristophanes berichtet in seinen
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