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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter
Autoren: Jodi Picoult
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können jetzt nicht sprechen …«
    » Du hast mich angerufen.«
    »Aber nur, weil ich gedacht habe, du hättest eine Dummheit …«
    »Max«, falle ich ihm ins Wort. »Lassen wir das. Lassen wir das einfach.« Jahrelang haben Paare mit Kindern Max und mir erzählt, wie viel Glück wir hätten, dass wir in unserer Beziehung den Luxus genießen könnten, dass alles sich nur um uns dreht und dass wir uns nicht ständig darüber den Kopf zerbrechen müssten, wer das Abendessen kocht und wer die Kleinen zur Kindertagesstätte fährt. Doch jegliche Romantik verfliegt schnell, wenn sich das Gespräch beim Abendessen nur um Estradiol-Spiegel und Termine in der Klinik dreht. Es ist nicht so, als würde Max irgendetwas falsch machen. Er massiert mir die Füße und versichert mir immer wieder, wie schön ich doch sei, obwohl ich schrecklich aufgequollen bin. Doch wenn ich mich in letzter Zeit an ihn schmiege, dann habe ich das Gefühl, als käme ich nicht mehr nahe genug an ihn heran. Es ist, als wäre er irgendwo anders. Immer wieder sage ich mir, ich bilde mir das nur ein. Bei ihm sind es die Nerven und bei mir die Hormone. Ich wünschte nur, ich müsste mir nicht ständig Entschuldigungen ausdenken.
    Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, ich hätte eine Freundin, der ich mich anvertrauen kann. Jemanden, der einfach nur nickt und all die richtigen Dinge sagt, wenn ich mich über meinen Mann beschwere. Doch all meine Freundschaften haben sich in Wohlgefallen aufgelöst, nachdem Max und ich unser ganzes Leben dem Kampf gegen die Unfruchtbarkeit gewidmet hatten. Einige Kontakte habe ich von mir aus beendet, weil ich meine Freundinnen einfach nicht mehr über die ersten Worte ihres Babys reden hören wollte oder darüber, wie es ist, wenn man nach Hause kommt und überall Stofftiere und Matchboxautos liegen – Details einer Art zu leben, die ich nie kennengelernt habe. Andere Freundschaften hatten sich einfach in Nichts aufgelöst, denn Max war inzwischen der einzige Mensch, der Verständnis dafür hatte, was es hieß, sich einer künstlichen Befruchtung zu unterziehen. Wir hatten uns selbst isoliert, weil wir das einzige Paar in unserem Freundeskreis waren, das noch keine Kinder hatte. Wir hatten uns selbst isoliert, weil es sonst zu sehr schmerzte.
    Max legt auf. Meine Mutter hat jedes einzelne Wort verfolgt. »Ist zwischen euch alles okay?«, fragt sie.
    »Ich dachte, du wärest wütend auf mich.«
    »Bin ich auch.«
    »Weshalb hast du dann gelauscht?«
    »Es ist kein Lauschen, wenn du mit meinem Apparat in meiner Küche telefonierst. Was ist denn los mit Max?«
    »Nichts.« Ich schüttele den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
    Meine Mutter setzt einen besorgten Gesichtsausdruck auf. »Setzen wir uns mal, und betrachten wir dieses Gefühl gemeinsam.«
    Ich rolle mit den Augen. »Funktioniert das bei deinen Kunden wirklich?«
    »Du wärst überrascht. Die meisten Menschen kennen die Antworten auf ihre Probleme nämlich bereits. Man muss sie ihnen nur entlocken.«
    Im Laufe der letzten vier Monate hat meine Mutter sich neu erfunden. Jetzt ist sie die Eigentümerin und einzige Angestellte der Mama-weiß-es-besser-Lebensberatung. Dieser Beruf ist die direkte Fortsetzung ihrer früheren Inkarnationen als Reiki-Trainerin, Stand-up-Comedian und – während eines besonders unangenehmen Sommers in meiner Pubertät – Handelsvertreterin für ihre eigene Erfindung, dem von ihr so getauften ›Bananensack‹, einer pinkfarbenen Neoprenhülle, die man über die Frucht stülpt, damit sie nicht so schnell braun wird. Unglücklicherweise hatten die Kunden diese Innovation der Frischhaltekultur allzu oft als Sexspielzeug betrachtet. Im Vergleich dazu war ihr Dasein als Lebensberaterin geradezu harmlos.
    »Als ich mit dir schwanger war«, sagt meine Mutter, »haben dein Vater und ich uns so oft gestritten, dass ich ihn eines Tages sogar verlassen habe.«
    Ich starre sie an. Wie ist es möglich, dass ich in den vierzig Jahren meines Lebens nie davon gehört habe? »Ernsthaft?«
    Sie nickt. »Ich habe meine Sachen gepackt, ihm gesagt, dass ich ihn verlassen würde, und bin gegangen.«
    »Und wohin?«
    »Bis zum Ende unserer Einfahrt«, antwortet meine Mutter. »Ich war im neunten Monat. Weiter konnte ich nicht watscheln, ohne das Gefühl zu haben, dass meine Gebärmutter gleich rausfällt.«
    Ich zucke unwillkürlich zusammen. »Musst du das so plastisch beschreiben?«
    »Wie soll ich es denn sonst beschreiben, Zoe?
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