Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Garage und ging zum Garten unserer Nachbarin, wo ich Cindy vergraben hatte. Ich grub Schnee und Mulch entlang der halben Hecke um, doch die Puppe war verschwunden. Vielleicht hatte ja ein Hund sie ausgegraben … oder ein kleines Mädchen, das mehr mit ihr anzufangen wusste.
    Ich weiß, dass es nicht gerade klug ist, wenn eine vierzigjährige Frau einen Zusammenhang herstellt zwischen einem dummen Akt der Trauer und vier erfolglosen künstlichen Befruchtungen, zwei Fehlgeburten und Fruchtbarkeitsstörungen, die, hätte sie jeder, eine ganze Zivilisation auslöschen würden – aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich mich gefragt habe, ob das Schicksal mich auf diese Art für meine kindliche Tat hat bestrafen wollen.
    Vielleicht hätte ich schon längst ein echtes Kind, wenn ich das erste Baby, das ich je geliebt habe, nicht so erbarmungslos sich selbst überlassen hätte.
    Als meine Sitzung mit Mr. Docker beendet ist, kommt seine Tochter Mim. Sie war auf einer Versammlung des Hausfrauenbunds und hat sich extra beeilt. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht verletzt sind?«, fragt sie und mustert mich zum hundertsten Mal von Kopf bis Fuß.
    »Ja, ich bin mir sogar ganz sicher«, versichere ich ihr. Allerdings nehme ich an, dass Mims Sorge nicht mir, sondern der Möglichkeit gilt, dass ich sie verklagen könnte.
    Sie kramt in ihrer Handtasche und holt eine Handvoll Bargeld heraus. »Hier«, sagt sie.
    »Aber Sie haben mich für diesen Monat doch schon bezahlt …«
    »Betrachten Sie das als Bonus«, sagt sie. »Ich bin sicher, Sie haben eine Menge Ausgaben mit dem Baby und so.«
    Das ist Schweigegeld – ich weiß –, aber sie hat recht. Allerdings haben die Ausgaben für mein Baby weniger mit Kindersitzen oder Wickelkommoden zu tun als vielmehr mit Hormonspritzen. Nach fünf künstlichen Befruchtungen – sowohl mit frischem als auch mit gefrorenem Sperma – haben wir unsere gesamten Ersparnisse aufgebraucht, und unsere Kreditkarten sind am Anschlag. Deshalb nehme ich das Geld und stecke es in die Hosentasche. »Danke«, sage ich und schaue Mim in die Augen. »Was Ihr Vater getan hat … Ich weiß, Sie sehen das nicht so, aber das war ein großer Fortschritt für ihn. Er hat Kontakt zu mir aufgenommen.«
    »Ja, und zwar genau am Kinn«, murmelt Wanda, die sich ebenfalls im Raum befindet.
    »Er hat Kontakt zu mir aufgenommen«, korrigiere ich sie. »Vielleicht nicht auf sozial akzeptierte Art, aber trotzdem … Eine Minute lang ist die Musik zu ihm durchgedrungen. Eine Minute lang war er hier.«
    Ich sehe, dass Mim mir das nicht abkauft, aber das ist schon okay. Ich bin bereits von einem autistischen Kind gebissen worden, habe neben einem kleinen Mädchen geweint, das an einem Hirntumor gestorben ist, und ich habe im Takt zu den Schreien eines Kindes musiziert, das zu über achtzig Prozent verbrannt war. Dieser Job … Ich weiß, dass ich ihn gut mache, auch wenn es mir manchmal wehtut.
    »Ich sollte jetzt besser gehen«, sage ich und schnappe mir meinen Gitarrenkasten.
    Wanda schaut noch nicht einmal von der Akte auf, in die sie gerade etwas einträgt. »Dann bis nächste Woche.«
    »Genau genommen sehen wir uns schon in zwei Stunden auf der Babyparty.«
    »Was denn für eine Babyparty?«
    Ich grinse. »Die, von der ich eigentlich nichts wissen sollte.«
    Wanda seufzt. »Falls Ihre Mutter fragt … Ich habe nichts gesagt.«
    »Keine Angst. Ich werde mich angemessen überrascht zeigen.«
    Mim streckt die Hand nach meinem dicken Bauch aus. »Darf ich?« Ich nicke. Ich weiß, dass viele Schwangere es als Eindringen in ihre Privatsphäre betrachten, wenn Fremde sie berühren oder ihnen unerwünschte Ratschläge geben wollen, doch mir macht das nicht das Geringste aus. Ich verspüre ja selbst ständig den Wunsch, über das Kind in meinem Bauch zu streichen, diesen unwiderlegbaren Beweis, dass es diesmal endlich klappen wird.
    »Es ist ein Junge«, verkündet Mim.
    Ich bin fest davon überzeugt, dass ich ein Mädchen unter dem Herzen trage. Ich träume in Pink, und wenn ich aufwache, denke ich an Märchen. »Wir werden sehen«, erwidere ich.
    Ich habe es schon immer als Ironie des Schicksals empfunden, dass eine Frau, die Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden, eine In-vitro-Fertilisation mit der Einnahme von Antibabypillen beginnt. Das dient dazu, aus einem unregelmäßigen einen regelmäßigen Zyklus zu machen, um sich anschließend von einer wahren Flut von Medikamenten überrollen zu lassen: Max hat
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher