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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann
Autoren: Martin Walser
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einem Sternbild: so geht man um mit einem großen Schmerz, siehst du, so dass der Schmerz keiner mehr ist, nicht mehr wehtut, ein Lächeln, eine dein Gesicht schöner machende Kulturgrimasse, der Schmerz ein Gelegenheitsgedicht, nicht zu leicht, aber doch viel leichter als die Elegie, die Elegie bleibt im Safe, dass es wehgetan hat, gehört dazu, jetzt, da es vorbei ist, ganz und gar vorbei, kannst du zugeben, dass es wehgetan hat, da es ganz vorbei ist, darf es sogar sehr wehgetan haben, es kommt nur darauf an, dass es vorbei ist, vorbei, vorbei, vorbei. Vor allem: Du musst dafür sorgen, dass sie erreicht wird! Sie muss sehen, dass du kein dich windender Wurm bist. Es soll ihr wohler werden, wenn sie sieht, der Alte hat’s geschafft. Ihr wart zusammen ein Sommertheater, ihm hat’s wehgetan, ist ja sehr hübsch, dass es ihm wehgetan hat, wäre ja noch schöner, aber er ist drüber weg, er hat entsagt, schreibt sogar seinen Wanderjahre-Roman um, wieder mit dem Untertitel Die Entsagenden, jetzt aber so, dass jeder sieht, wie das geht, das Entsagen, edel sei der Mensch, hilfreich und gut, und wenn es ihm schlechtgeht, gibt ihm ein Gott zu sagen, was er verschweigt, halt, eben das nicht   …
    Von draußen drang Pferdegetrappel herein. Dieses schöne Geräusch frisch gehärteter Hufe auf dem harten Platz. Acht Hufe im gelassensten Rhythmus der Welt. Und lenkte ihn nach Karlsbad, wo man in der Alten Wiesenstraße keine fünfzig Meter von der Brücke über die Tepl gewohnt hatte. Ulrike hatte, weil die Hufe auf der Holzbrückedröhnten, gesagt: Die Geisterreiter. Es war ja abends, als sie vor dem Goldenen Strauß saßen und den Mond aufgehen ließen über dem Dreikreuzberg. Und er mit ihr am Sprudel, wortlos zusehend dem hochzuckenden Wasserstrahl, der ja nicht monoton immerfort gleich hochschießt, dann stünde er ja nur wie eine Wassersäule in die Höhe, sondern er zuckt hoch, schießt hinauf, verhält sich eine Viertelsekunde, als hole er wieder Atem und Kraft, dann zuckt er, schießt wieder in die Höhe. Wenn er mit Ulrike und all den anderen Badegästen stand, wusste er nicht, woran die alle dachten, wenn sie sich dem Anschauen dieses hochzuckenden Wasserwunders hingaben. Und er fand, es sei doch alles falsch gelaufen! Warum konnte man, durfte man, was man da deutlich genug empfand, nicht ausdrücken?! Er spürte den Rhythmus in seinem Teil, das so gern das Ganze wäre. Und Ulrike? Und alle anderen? Wenn Ulrike ihn dann auf dem Rückweg ein wenig berührte, fühlte er sich vollkommen glücklich. Nie wieder würde er mit Ulrike den Sprudel zucken sehen. Dieses Nie wieder hatte eine Wucht. Eine vernichtende Wucht. Er spürte, dass er die Starre, die sich in ihm ausbreiten wollte, nicht zulassen durfte. Jetzt war wie noch nie Geheimhaltung verlangt. Verbergen. Wenn das, was ihn jetzt beherrschte, hinauskäme aus ihm, würde ein Orkan der Teilnahme und des Triumphs losbrechen, untergehen würde er in den Wogen der moralisch-ästhetischen Rechthaberei, die anrollen würde als fürchterliches Bedauern. Instinktiv griff er nach der Liste mit dem Programm des Tages. Zusammen werden erscheinen der Kanzler von Müller mit Julie von Egloffstein. Präsentation eines erstaunlichen Bildes, stand da.Das erst um fünf. Um sechs Riemer, will seine satirischen Sonette gegen die Sprachreiniger vortragen. Dann Line mit Soret, Rehbein, Adele Sch., dem Kanzler, Riemer, Ottilie und Meyer und dem Generalsuperintendenten Röhr. Aber vorher um fünf noch ein Herr Zeuner, der in gestelzter Sprache um eine Empfehlung an W. von Humboldt bitten will. Seinerseits sehr empfohlen von Kanzler von Müller.
    Sie hat die Vergangenheit gegen die Zukunft eingetauscht. Das würde jeder Mensch, der noch zurechnungsfähig ist, so machen. In Gesellschaft darf dir das Wort Zurechnungsfähigkeit nicht aus dem Mund kommen. Sich löschen können wie das Licht. Geträumt hast du schon alles. Bloß am Tag nicht zugeben, dass der Traum recht hat. Mit ihr in der Kirche in Karlsbad, hast du geträumt, es war die Jakobskirche aus Weimar. Jetzt stand sie in Karlsbad. Hoch über der Stadt am Waldrand, am Weg zur Diana-Hütte, wo er mit ihr die vier Du-Stunden erlebt hatte. Sie waren im Traum den steilen Weg hinaufgegangen, ohne zu sprechen. In Wirklichkeit hatte Ulrike schon während dieses steilen Anstiegs Werthers Trauer über die Nussbäume vorgetragen. Als sie schon fast am Waldrand angekommen waren, entdeckte sie plötzlich diese Kirche, die er als die
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