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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann
Autoren: Martin Walser
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ihr bis jetzt noch nichts, was sie gelernt habe, so schön geworden und so wichtig, so erfüllend, sie so ganz und gar ergreifend, sie steigernd. Was das Reiten angeht, zu Hause auf Schloss Trschiblitz wartet mein Brauner auf mich, dass wir über Hecken und Gräben setzen und uns fühlen wie der Herbststurm selbst, also reiten habe ich können, lang ehe ich lesen können wollte. Jetzt könne sie also reiten und sprechen. Sie fühle sich ausgezeichnet. Als man dann die Mitternachtsgrenze passierte, habe Herr de Ror tatsächlich einen zweiten Vornamen angeboten, wieder einen, den sie keinem Menschen weitersagen dürfe, bevor sie nicht bei öffentlichstem Tageslicht seinen ganzen Namen trage. Da habe sie Halt gerufen, habe sich geweigert, einen Vertrag zu erfüllen, den sie nicht geschlossen habe, der ihr auferlegt werde ohne ihre Zustimmung. Da habe er gewirkt, als treffe ihn das. Vertrauen gegen Vertrauen, habe er gerufen. Undso weiter und so weiter. Exzellenz, das ganze Vornamenstheater sei so inhaltsarm und eigentlich bedeutungslos, dass sie davon gar nicht hätte anfangen sollen. Aber der Schmuckapostel, der sich dann zum Lebensapostel aufgeschwungen habe, habe sie, obwohl sie rechtzeitig Einspruch angemeldet habe, durch seinen Vornamen-Zauber in eine Lage gebracht, aus der sie sich befreien möchte. Aber wie? Tatsächlich fühle sie sich jetzt durch das sogenannte Vertrauen, in das er sie, ohne sie vorher zu fragen, gezogen habe, gebunden. Zumal er ziemlich mitgenommen wieder von einer Enttäuschung sprach, die er habe durchleben müssen, die ihn fast das Leben gekostet habe. Ein zweites Mal könne er so etwas nicht durchmachen. Es sei ein Vertrauensbruch gewesen, der ihn an den Rand seiner Existenz gebracht habe. Und so weiter und so weiter. Jetzt wisse Exzellenz sicher schon mehr als sie, da ja Exzellenz vollkommen klug und von weit her alles viel ruhiger zur Kenntnis nehmen könne als sie, die vom Wirbelsturm Zerzauste. Ja, zerzaust komme sie sich schon vor. Wenn das das sogenannte Leben sei, wisse sie noch nicht, ob sie daran teilnehmen wolle. Obwohl eine Art Abenteuerstimmung auch entstanden sei, und die sei, wenn sie das recht fühle, nicht nur unangenehm. Den Smaragd habe sie noch nicht öffentlich getragen. Probiert schon, aber nur, wenn sie allein war. Sie könne noch nichts sagen. Auf jeden Fall sei der Stein in Farbe, Größe und Fassung diskret. Aber er sei im Stil, so der Schmuckapostel, vergleichbar mit dem Smaragd, den die Herzogin von Devonshire trage. Dass die ganze Schmuckattacke von der Mutter und dem Grafen Klebelsberg geplant worden ist, sei ihr klargeworden.Klebelsberg hat der Mutter gerade eine viermal um den Hals reichende Kette geschenkt, böhmischer Granat, mehr schwarz als rot, dazu zwei genau so schwere, genau so schwarzrote Granatketten als Armbänder und genau so düstere Ohrgehänge, der Graf ist irgendwie beteiligt an diesem Vorkommen in Brux. Er hat gedroht, sie auch unter so einer Schmucklast zu begraben. Zur Verlobung vielleicht. Sie begreift ja, die Mutter will heiraten, aber nicht mit einer erwachsenen Tochter im Gefolge. Also weg mit der. Schmuck drauf und hin auf den Debütantinnen-Ball. Das ist sicher dem Grafen eingefallen. Und Herr de Ror ist beste Qualität. Eine Zukunft mit Goldrand. Jetzt aber Schluss. Und zwar Schluss in der Hoffnung, dass er höre, sie rufe wie schon des öfteren Exzell-e-enz. Dann wieder: Ihre ergebene Freundin Ulrike.
    Sofort wusste er, jetzt war der Gruß nichts mehr wert. Mit dieser Schmuck-Suada hatte sie alles entwertet. Jetzt war nichts mehr. Jetzt war er dahin verwiesen, wo er hingehörte, von wo er sich nie hätte wegbewegen lassen dürfen. Aber wie hätte er das in den tausend Augenblicken wissen sollen, dass das alles immer nichts war. Nichts als   … Nichts als was? Hör auf. Es gibt nichts zu erkennen. Nicht noch einmal alles durchhecheln, was war falsch, von wann an   … Wegwerfen, alles wegwerfen, auch dich selbst, keine Redensarten, denken nur, was du dann auch tun kannst, alles bloß Wörtliche, weg damit, Geheimhaltung, sonst nichts, du bist in Feindesland, zu produzieren ist eine vollkommene Unvermutbarkeit, du bist der Entsagende wie noch nie, du musst nichts ausstrahlen als das Entsagen! Nicht laut, ganz leise, ganz weise, wie es sich gehört, dergroße Entsagende, die edelste Kulturfassade Deutschlands, Europas, der ganzen Welt, das Entsagungsbeispiel für kommende Zeiten, alle Unglücklichen sollen aufschauen zu dir wie zu
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