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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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sie dorthin zu bringen und es Ihnen zu zeigen.
    SCHMIDT Somerset Maugham, das ist eine Generation vor uns.
    LEE Ja, ich glaube, noch etwas mehr.
    SCHMIDT Sie lesen also gute Literatur?
    LEE Nein, nein (lacht). Ich lese nur zum Zeitvertreib.
    SCHMIDT Und ich arbeite nur zum Zeitvertreib.
    ( LEE lacht.)
    SCHMIDT Abends lese ich neuerdings Shakespeare. Ich lese auch Lord Byron. Shakespeare ist leichter zu verstehen als Lord Byron, bei ihm gibt es so viele symbolische Figuren. Man muss über die Symbole und ihre Namen viel nachdenken. Ich glaube, er ist früh gestorben, in seinen Dreißigern.
    LEE Er war ein Dichter.
    SCHMIDT Sie sind mit Byron und Shakespeare aufgewachsen?
    LEE Ja.
    SCHMIDT Und was hat Sie zum Chinesen gemacht?
    LEE Die Wahlkämpfe.
    SCHMIDT Ist das der wirkliche Grund? Haben Sie in Ihren Wahlkämpfen nicht englisch gesprochen?
    LEE Nein, nein, ich musste chinesisch sprechen.
    SCHMIDT Und wie gut war Ihr Chinesisch?
    LEE Sehr schlecht. Aber trotzdem, man jubelte mir zu, weil ich es versuchte …
    SCHMIDT Danke für die beiden Bücher, die Sie mir vorgestern geschickt haben. Sie trafen ein, als ich gerade beim Packen war. Ich habe sie nicht mitgebracht. Das eine über die Umwandlung Singapurs in eine zweisprachige Stadt interessiert mich besonders. Es muss eine gewaltige Anstrengung gewesen sein.
    LEE Es war eine sehr qualvolle und schwierige Aufgabe.
    SCHMIDT Was war das Hauptproblem?
    LEE Dass viele Chinesisch zur herrschenden Sprache machen wollten, denn Singapur ist eine überwiegend chinesische Stadt. Aber ich habe ihnen gesagt, dass sie mich erst besiegen müssten, wenn sie das durchsetzen wollten, denn meine Aufgabe sei es, diesen Ort lebensfähig zu machen. Und wenn wir uns für Chinesisch entschieden, würden wir das nicht schaffen. Entschieden wir uns dagegen für Englisch, würde uns die ganze Welt offenstehen. Und wir würden für die Welt offenstehen.
    SCHMIDT Wann haben Sie sich dafür entschieden, die Stadt zu einer zweisprachigen Stadt zu machen?
    LEE Nun, schon sehr früh, denn es war der einzige Weg, um Chinesen, Inder, Malaien und andere Volksgruppen zusammenzuhalten. Mit Chinesisch als Amtssprache wären die anderen benachteiligt gewesen, und es hätte endlose Unruhen gegeben wie in Sri Lanka. Mit Malaiisch als Amtssprache wären wir nicht weit gekommen. Hätten wir Tamilisch zur Amtssprache gemacht, das so wenige sprachen, hätte man uns für verrückt gehalten. Also habe ich gesagt, wir nehmen Englisch, und jeder behält seine Muttersprache als zweite Sprache. Welches Niveau ihr in dieser zweiten Sprache erreichen wollt, ist eure Sache, aber Englisch ist Pflicht für alle.
    SCHMIDT Ab wann lernen die Kinder in Singapur Englisch? Von der ersten bis zur neunten Klasse?
    LEE Vom Kindergarten an.
    SCHMIDT Und seit wann ist das so?
    LEE Den Beschluss, Englisch zur Amtssprache in unserem Land zu machen, fassten wir gleich 1959. Zu der Regelung, im Kindergarten anzufangen, gelangten wir schrittweise 1965, 1967.
    SCHMIDT Das war sehr früh – eine große Leistung! Ich denke manchmal, dass das Vorhandensein von 35 Sprachen eines der größten Hindernisse für die Europäische Union ist.
    LEE Ja. Das ist der Grund, warum Amerika erfolgreich ist.
    SCHMIDT Und der Grund, warum Europa sich so schwertut.
    LEE Einer der Gründe.
    SCHMIDT Richtig.
    LEE Ein weiterer Grund ist der Euro.
    SCHMIDT Lassen Sie uns über den Euro später sprechen. Ich würde gern noch etwas beim Thema der Zweisprachigkeit bleiben.
    LEE Bitte.
    SCHMIDT Wenn man an seiner nationalen Sprache festhält, bedeutet es, von einer Welt umgeben zu sein, die andere Sprachen spricht, und das sind meist keine sehr freundlichen Sprachen. Denn was ich von meinem Nachbarn am besten kenne, ist der Schaden, den er mir in der Vergangenheit zugefügt hat, und seine Sprache ist mit diesen Erinnerungen unlöslich verknüpft. Das ist doch richtig?
    LEE Ja. Als die Briten aus Malaysia abzogen, entschieden sich meine Nachbarn dafür, das Englische aufzugeben und zum Malaiischen zurückzukehren. Dafür haben sie einen ökonomischen Preis gezahlt. Sie versuchen es jetzt rückgängig zu machen, aber die Lehrer sind fort, die Lehrbücher gibt es nicht mehr, und die malaiischen Sprachchauvinisten wollen sie nicht zum Englischen zurückkehren lassen. Es ist zu spät. Sie haben also wirklich einen hohen Preis dafür gezahlt.
    SCHMIDT Vor allem wenn sie auf das heutige Singapur schauen, dürfte ihnen bewusst werden, dass sie einen Fehler gemacht haben,
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