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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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lokale Missstände, sie richten sich nicht gegen das Regime der Kommunistischen Partei.
    Dabei erweist sich die kommunistische Ideologie als weitestgehend unbrauchbar für die Lösung der realen Probleme. Hier ist ein ideologisches Vakuum entstanden. Deswegen scheint es mir zunehmend wahrscheinlicher, dass die chinesische Führung auf Prinzipien des Konfuzianismus zurückgreifen wird – angepasst an die Erfordernisse des heutigen China.
    Gleichwohl wird die Kommunistische Partei alles tun, ihre unumschränkte Herrschaft aufrechtzuerhalten. Dieses System der Einparteienherrschaft ist vielen Amerikanern und Europäern zutiefst suspekt, es widerspricht den politischen Traditionen des Westens. Im Lichte der chinesischen Geschichte aber erscheint mir die politische Stabilität, die dieses System gewährleistet, als zweckmäßig, ja wohltuend – sowohl für das chinesische Volk als auch für seine Nachbarn.
    Im Zuge der marktwirtschaftlichen Neuerungen wird sich die autoritäre politische Struktur zweifellos wandeln. Deutliche Zeichen eines sich allmählich entwickelnden Rechtsstaates sind bereits erkennbar. Man muss der weiteren Entfaltung jedoch Zeit lassen. Jeder Versuch, von außen einzugreifen und den Prozess zu beschleunigen, könnte großes Unheil auslösen.
    *
    Was hat der Westen in näherer Zukunft von China zu erwarten? Auch wenn sich der wirtschaftliche Aufschwung verlangsamen wird, dürfte China weiterhin ein überdurchschnittliches wirtschaftliches Wachstum verzeichnen, ein schnelleres Wachstum jedenfalls, als es irgendein Land in Europa oder Nordamerika erreichen kann. Der durchschnittliche Lebensstandard wird steigen. Dennoch wird China noch einige Jahrzehnte auf dem Niveau eines Schwellenlandes bleiben.
    Einerseits werden wir uns darauf einstellen müssen, dass in den Naturwissenschaften und im Bereich der neuen Technologien die Chinesen schnell aufrücken werden. Andererseits soll man die Bedeutung des chinesischen Marktes nicht überschätzen. Nicht alle 1,3 Milliarden Chinesen werden sich morgen ein in Europa oder nach europäischen Maßstäben gefertigtes Auto kaufen können. Im Gegenteil, ich glaube, dass die Mehrheit der heute lebenden Chinesen im Laufe ihres Lebens sich überhaupt kein Auto wird leisten können.
    Außenpolitisch wird China vorsichtig bleiben und keinem Konflikt mit einer anderen Weltmacht Vorschub leisten oder dazu Anlass bieten. Im Hintergrund steht dabei die zweitausend Jahre alte Tradition, sich als ein großes Reich zu betrachten, das Expansion und Eroberung nicht nötig hat. Zugleich wird Peking darauf drängen, dass China respektiert wird, und insbesondere auf dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen beharren. Etwaige Provokationen wird man gelassen abwehren.





Wenn man die militärische Verteidigung oder die Militäretats Chinas und der Vereinigten Staaten überhaupt vergleichen kann – was sehr schwierig ist, weil Bezugsgrößen wie Kaufkraft oder Immobilienpreise nicht standhalten –, dann ist der chinesische Rüstungsetat ungefähr bei einem Fünftel oder einem Sechstel des amerikanischen, wobei ich die Kosten für den Einsatz in Irak und Afghanistan nicht einrechne.
    Wie soll sich der Westen mit Blick auf China verhalten, wie soll er auf die Herausforderung reagieren? Drei Punkte sind aus meiner Sicht für ein friedliches und kooperatives Nebeneinander unabdingbar. Erstens: Verzicht auf westliche Überheblichkeit, stattdessen Respekt gegenüber der ältesten Kulturnation der Welt. Zweitens: Volle Einbeziehung Chinas als gleichberechtigter Partner in alle multinationalen Organisationen, in denen globale Fragen – Wirtschaft, Finanzen, Klima, Abrüstung – verhandelt werden. Drittens: Keine Widerstände gegen die zu erwartende Annäherung Taiwans an die Volksrepublik China und die daraus sich ergebende friedliche Wiedervereinigung.
    Vor allem müssen die westlichen Politiker begreifen, dass harter Wettbewerb und politische Zusammenarbeit sich keineswegs gegenseitig ausschließen. Ich erinnere an das Beispiel Japans. 1868 erlebte das bis dahin von der Welt abgeschottete Japan die Meiji-Restauration. Die Öffnung des Landes für die westliche Welt führte dazu, dass Japan 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, industriell und militärisch auf gleicher Höhe mit dem Westen war. Trotz dieses neuen Konkurrenten haben die Europäer ihren Lebensstandard heben und zugleich den Sozialstaat begründen können. Das heißt, der Aufstieg Japans zu einer
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