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Ein leises boeses Fluestern

Ein leises boeses Fluestern

Titel: Ein leises boeses Fluestern
Autoren: Theodus Carroll
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Stockrosen und Fingerhüten sank er in die Wärme und Süße und das stetige Summen der Bienen.

 
XXVIII
     
     
    Von den Farmen in der Nachbarschaft kamen Leute und trugen seinen Körper den Berg hinauf. Sie hatten Clarissa auf den Knien neben ihm gefunden, die blauen Augen starr geradeaus blickend. Man führte sie in das Haus, das still in der blendenden Nachmittagssonne lag. Louise schrie hysterisch. Die Nachbarn setzten Clarissa auf die Holzbank der hinteren Veranda. Sie hielt die Augen ausdruckslos auf die Fahne gerichtet, die vom Geländer herabhing, und lauschte auf das aufgeregte Hin und Her im Haus.
    Der Sheriff kam. Der Krankenwagen brachte einen Arzt mit. Max’ Leiche wurde weggeschafft. Der Arzt verschrieb Beruhigungsmittel für Louise und schickte Clarissa ins Bett. Und dann gingen die Nachbarn nach Hause.
    Im Zwielicht lag das Haus wieder ruhig da. Die Ringeltauben flatterten und putzten sich auf dem silbrigen Schieferdach. Mit der Dämmerung kam ein milchiger Nebel, der nach Regen roch.
    Clarissa saß auf ihrem Bett und lauschte in das tiefe Schweigen im Haus. Sie kletterte über den Schemel von der hohen Kante und öffnete ihre Schlafzimmertür. In der Diele brannte Licht und flimmerte auf den kristallenen Äpfeln, Pfirsichen und Aprikosen. Sie trat auf den Flur und lugte die Hintertreppe hinunter. Aus der Küche fiel ein heller Schein.
    »Louise!« Ihre Stimme hallte in der leeren Diele wider.
    Louise tauchte aus der Küche auf und stand am Fuß der Treppe. Ihr Haar war, ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, zerzaust, ihr Gesicht war vom Weinen geschwollen. »Geh ins Bett, Kind. Du mußt dich heute nacht ausschlafen. Denk daran, daß deine Eltern morgen nach Hause kommen.«
    »Ich will nicht allein sein.«
    Louise sah sie an, überlegte, und dann mühte sie sich die Treppe hoch und führte Clarissa in ihr Schlafzimmer zurück.
    »Du brauchst Ruhe«, sagte Louise. »Deine Mutter wird außer sich geraten, wenn sie dich in einem solchen Zustand sieht.« Sie schüttelte die Kissen auf. »Ins Bett jetzt, Mädchen, und kein Wort mehr.«
    Clarissa saß auf der Bettkante und faßte Louises Hand. »Ich habe jedem gesagt, daß es ein Zug war, aber keiner wollte mir glauben. Sie behaupteten, er sei hingefallen und habe sich Gesicht und Kopf an den Schienen aufgeschlagen.« Im Zwielicht vertieften sich die blauen Schatten unter Clarissas Augen. »Glaubst du mir?« flehte sie. »Glaubst du, daß es der Zug gewesen ist?«
    »Natürlich.« Louise zwang das Kind, sich hinzulegen. »Aber das beste ist, wir warten bis morgen früh. Dann können wir darüber sprechen …« Die Stimme versagte ihr. »Bevor deine Eltern nach Hause kommen.« Tränen strömten ihr über die Wangen. Sie schaltete das Licht aus. »Sei jetzt ein braves Mädchen und schlaf.«
    Clarissa lag im Bett und hörte, wie Louise langsam die Stufen hinabstieg. Jetzt war keiner mehr da, der ihr glauben würde, keiner, der ihr zuhörte und sie verstand. Sie sehnte sich nach Max, nach seiner Anwesenheit und seiner Nähe und dem Gefühl, das sie hatte, wenn sie die Arme um ihn schlang. Sie wußte nun, daß Max in ihrem Leben die Wahrheit verkörpert hatte. Sie wünschte sich, er würde zu ihr zurückkehren. Voller Verzweiflung wünschte sie sich, ihm zu sagen, daß seine Wahrheit alles war, worauf es ankam.
    Ihre Lippen bildeten leise, zärtliche Worte der Liebe, von denen sie wünschte, Max könne sie hören. Dann legte sie ihr Gesicht mit den brennenden Augen auf das Kissen und rief seinen Namen.
    Sie starrte durch das offene Fenster in die Dämmerung. Durch das stille Zimmer waberten Hitzeschwaden. Ein Luftzug von draußen traf sie. Vor der Veranda begannen die ersten Regentropfen zu fallen. Clarissa setzte sich hoch. Sie wäre gern auf die Veranda gegangen und hätte zugesehen, wie die Regentropfen auf der Oberfläche des Fischteiches ein Muster bildeten.
    Aber plötzlich spürte sie eine furchterregende Gegenwart im Zimmer, eine Wesenheit wie aus einem Traum, der überwältigt und von einem Besitz ergreift. Sie sprach tonlose Worte und legte sich zurück, horchte, war sich der heftigen, lautlosen Bewegung bewußt. Schwer atmend in den Hitzewogen, die das Bett und ihren feuchten Körper umfluteten, fühlte Clarissa in der tiefen Dunkelheit des Raums, daß sie beobachteten und warteten.
    Sie wußte, sie waren gekommen, und es gab für sie keinen Weg zurück mehr. Max war gegangen, und sie konnte sich von dem, was geschehen war, nicht
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