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Ein leises boeses Fluestern

Ein leises boeses Fluestern

Titel: Ein leises boeses Fluestern
Autoren: Theodus Carroll
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weißt du noch?« Clarissa schenkte ihm ein Lächeln. »Morgen nachmittag fährt der Zug vorbei. Sie haben mir versprochen, ich dürfe mitfahren. Sie sagten, sie können den Zug anhalten, und wir können zusammen damit fahren.« Sie wischte sich das Gesicht am Ärmel ab.
    Max gab ihr sein Taschentuch. »Willst du mir etwas versprechen?«
    »Was?« Sie putzte sich die Nase.
    »Versprich mir, nicht allein wegzugehen, bevor deine Eltern wieder hier sind. Keine nächtlichen Spaziergänge mehr auf dem Grundstück oder sonstwo – und keine Zugfahrten.«
    »Das ist gemein! Sie haben mich gefragt, und ich habe bereits ja gesagt.«
    »Und wenn du verletzt wirst?«
    »Das kann gar nicht passieren. Der Zug fährt nicht sehr schnell. Er hat nur eine Dampflokomotive.«
    »Macht ein Tag Aufschub etwas aus?« Max merkte, welche Angst aus seiner Stimme sprach. »Können sie nicht noch einen Tag warten, bis deine Eltern nach Hause gekommen sind?«
    »Ich glaube schon. Aber das wird ihnen nicht recht sein. Der Zug fährt nämlich nicht so oft.«
    »Versprich es mir«, beschwor Max sie.
    Clarissa zupfte an den gestickten Rosenknospen ihres Rockes herum. »Gut«, sagte sie, »ich verspreche es dir … Und jetzt versprichst du mir, daß du es meinen Eltern nicht erzählen wirst.«
    »Das kann ich nicht tun. Diesmal muß es dabei bleiben, daß nur du mir etwas versprichst.«
    Sie wandte das Gesicht ab und blickte in die Dunkelheit.
    »Es ist doch nur, weil ich mir Sorgen um dich mache«, redete er ihr zu. »Ich möchte nicht, daß dir irgend etwas zustößt.«
    »Ich bin kein Baby.«
    Er nickte, die Augen auf sie gerichtet.
    »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie seufzte schwer. »Wirst du es ihnen erzählen?«
    »Ja.«
    »Da werden sie aber sehr böse werden.«
    »Das nehme ich an.« Max wußte sehr gut, daß sie nicht ihre Eltern meinte.
    »Und daß du mich nicht mit ihnen im Zug fahren läßt, wird ihnen auch nicht passen. Sie lieben es nicht, wenn sich Leute einmischen. Sie haben nicht viel Geduld.« Sie sah ihn unsicher an. »Wirst du es Louise erzählen?«
    »Nein«, sagte Max. »Sie will nichts davon hören.«
    »Das ist gut. Sie würde nichts als Theater machen.«
    Sie hörten ein altes Auto über den Feldweg rattern.
    »Da kommen Louise und ihre Schwester«, bemerkte Max. »Sie werden sich wundern, warum wir hier draußen im Dunkeln sitzen.«
    Clarissa gab ihm sein Taschentuch zurück und strich sich den Rock glatt. »Sag ihr, du hättest deinen Schlüssel verloren. Sag ihr, wir hätten darauf gewartet, daß sie uns ins Haus läßt.«
    Aber der Wagen fuhr vorbei, und wieder war nichts zu hören als die Geräusche der Nacht. Eine ganze Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Dann stand Clarissa auf. »Dieser Zement ist hart. Komm, wir setzen uns ins Gras, bis Louise nach Hause kommt.«
    Max folgte ihr an den Fischteich. Sie setzten sich unter eine kleine Kiefer.
    »Riech mal die Nadeln.« Clarissa hielt eine Handvoll trockener Kiefernnadeln an ihr Gesicht. Sie lächelte ihn im Mondlicht an. »Das sieht hübsch aus, wie das Licht auf dein Gesicht fällt.« Sie berührte sein Gesicht mit einem Finger. »Wie Sonnenstrahlen, nur weicher.«
    Die Stille und Clarissas Berührung fühlten sich kühl an. Max schloß die Augen, und Friede kam über ihn. Bald würde der Kampf enden, und der Alptraum würde vorüber sein.
    »Max.«
    Er öffnete die Augen, erschreckt von dem dunklen Klang ihrer Stimme. Clarissas weiches Haar rahmte ihr Gesicht ein, als sie sich über ihn beugte. Ihre Lippen teilten sich zu einem zärtlichen Lächeln. Sie legte die Lippen auf seinen Mund und küßte ihn, zuerst sacht, dann fest. Ihr langes Haar streichelte seinen Hals und hüllte ihn in einen Schleier von Duft ein. Wärme durchflutete seine Lenden, und irgendwo in seiner Brust begann ein Zittern.
    Sie ließ sich zurücksinken und sah ihn in der Dunkelheit an. Ihre Stimme war nur ein Hauch. »Willst du mich nicht?«
    »O Gott«, keuchte er, als sie ihn faßte und küßte mit glühenden, offenen Lippen. Und dann zog sie ihn hinunter auf die Decke von Kiefernnadeln in die tiefe Dunkelheit der Nacht.

 
XXVII
     
     
    Am Morgen wurden das Haus und das Grundstück und die Gärten in heißem Sonnenlicht ertränkt. Max rechte den Kies auf der Zufahrt und jätete Unkraut im Gemüsegarten. Er pflückte Tomaten und Wachsbohnen und trug den Korb ins Haus. Louise stand in der Nähe der Fliegendrahttür und flocht Clarissas Haar zu
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