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Ein leises boeses Fluestern

Ein leises boeses Fluestern

Titel: Ein leises boeses Fluestern
Autoren: Theodus Carroll
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Kniestrümpfe hoch. »Wir sollten die alte Laterne ausgraben«, meinte sie.
    »Welche Laterne?«
    »Sie ist in der Remise unten an der Straße unter Sägemehl und Trödel vergraben. Das Dach wird bald einstürzen. Sie ist wunderschön – die Laterne, meine ich –, lauter geschliffenes Glas und Kupfer und beinahe so groß wie dieser Sitz hier.« Wieder rutschte sie hin und her.
    »Wann hast du sie gesehen?«
    »Ich habe sie nicht gesehen. Sie haben mir davon erzählt. Sie schrieben ihrer Mutter Nachrichten und versteckten sie in der Laterne. Als sie hier lebten, stand die Laterne auf einem eisernen Pfahl, der an der Zufahrt in der Nähe der Hinterveranden eingelassen war.«
    Max konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die schlechte Straße. Schweigend saßen sie nebeneinander. Der Wagen holperte über die Unebenheiten.
    »Max, was für ein Geheimnis wolltest du mir sagen, als Mr. Clover auftauchte?« erinnerte Clarissa ihn.
    Max fuhr den Kombi auf die Seite und hielt an. Die Nachmittagssonne brannte. Eine Fliege stieß vergeblich immer wieder gegen die Innenseite der Windschutzscheibe.
    »Wer hat dir von den Kindern erzählt?« forschte er. »Ich meine, bevor du sie gesehen hast.«
    »Niemand.«
    »Lüg mich nicht an.«
    »Für einen Schwachsinnigen schaffst du es sehr gut, genau wie alle Leute zu reden.« Clarissas blaue Augen funkelten vor Zorn. »Die Leute stellen einem blöde Fragen, und dann behaupten sie, man lüge, wenn man ihnen die Wahrheit antwortet.« Sie begann zu weinen.
    »Okay, ich glaube dir ja.« Er berührte eine nasse Stelle auf ihrer Wange. »Was für Fragen stellen die Leute?«
    »Über das Haus. Sie sagen, ehe wir einzogen, wollte Jahre und Jahre niemand drin wohnen.« Sie wischte sich die Tränen mit dem Rocksaum ab. »Die Kinder in der Schule fragen mich, wie es ist, wenn man hier wohnt. Sie fragen, ob ich keine Angst habe. Aber das ist alles. Niemand weiß von meinen Freunden. Ich habe dir doch gesagt, daß ich niemandem von ihnen erzählt habe. Nicht einmal Louise, außer an meinem Geburtstag, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Weißt du noch, wie komisch Louise sich benahm, weil ich sagte, sie hätten nicht mit mir reden wollen?« Sie kicherte.
    »Ja«, antwortete Max. »Das ist der Grund, weshalb ich dir das Geheimnis verraten möchte.«
    Clarissas Augen strahlten in blauem Feuer.
    »Louise und all die anderen Leute haben Geschichten von zwei Kindern gehört, die vor vielen, vielen Jahren in diesem Haus gewohnt haben. Und manchmal …« Er suchte nach passenden Worten, gab sich Mühe, sich die Geschichte ins Gedächtnis zurückzurufen. »Nun, niemand hat sie jemals wirklich gesehen. Manchmal hat ein Kind es behauptet – du weißt schon, auf dem Weg von der Schule sei es an dem Haus vorbeigekommen, und da habe es sie gesehen, und das war so eine Art Wichtigmacherei. Vielleicht hat sie irgendwann einmal ein Kind auch tatsächlich gesehen –«
    »Ich weiß«, unterbrach Clarissa ihn. »Sie haben mir von diesen anderen Kindern erzählt. Sie sagten, Louise würde ohnmächtig umfallen, wenn sie es erführe. Aber nie haben sie mit einem von den andern Kindern Freundschaft geschlossen, und jetzt fühlen sie sich einsam.«
    »Ja.« Max war bestürzt. Clarissas süßes Gesicht war so jung und unschuldig. »Sie haben dich auserwählt.«
    Er ließ den Motor an und fuhr weiter auf der alten Flußstraße. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Es war schön, an dem dahinströmenden Fluß entlangzufahren. Die Straße war schmal; wie hier die meisten weit von der Stadt entfernten Straßen war sie nur für Pferdewagen angelegt. Sie kamen an verschiedenen verfallenen Bauernhäusern vorbei. Die Höfe waren zu weit von den umliegenden Märkten oder einer Transportmöglichkeit entfernt, um Gewinn abzuwerfen. Neben der Straße lief der Schienenstrang der früheren Ohio-Bahn her. Die Schwellen waren von Unkraut überwuchert, und die Schienen waren mit Rost bedeckt.
    »Was meinst du, warum sind die Schienen so verrostet?« fragte Clarissa.
    »Weil sie nicht mehr befahren werden.«
    »Werden sie aber. Ab und zu kommt hier ein Zug vorbei. Manchmal höre ich ihn, wenn ich nachts im Bett liege. Das ganze Haus bebt, und die Fensterscheiben klirren. Sie sagten mir, es sei die Dampflokomotive nach Pittsburgh oder in entgegengesetzter Richtung nach West Virginia.«
    Max sah sie an und lachte laut heraus. Clarissa wickelte eine blonde Haarsträhne um ihre Nase und schnitt den Kühen, die neben der Straße weideten,
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