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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt
Autoren: Stefanie Gercke
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anrufe, aber es ist etwas vorgefallen, was mir Angst macht.«
    »Ich hab noch nicht geschlafen. Wo bist du?«
    »Bei meinen Eltern.«
    Angelica lebte mit ihrer Familie nur eine halbe Stunde Autofahrt von ihr entfernt am Nyalazi-Fluss, ihre Ferien verbrachten sie im Haus ihres Stiefvaters am Little Letaba westlich des Krügerparks. Ihre Mutter und er waren dorthin gezogen, nachdem sie ihre Zuckerrohrfarm bei Mtubatuba verkauft hatten. Für ein paar Sekunden hörte Jill nur schweres Atmen am anderen Ende, als würde ihre Freundin nach Worten suchen. Beunruhigt merkte sie auf.
    »Popi Kunene ist wieder aufgetaucht«, sagte Angelica, »und wieder kursieren böse Gerüchte um ihn.«
    Popi Kunene, Zwillingsbruder von Thandile, Kindheitsfreund. Unruhestifter. Widerstandskämpfer. »Welche Gerüchte sind es diesmal? Von Ben habe ich gehört, dass er nach Simbabwe floh, als ihm die Polizei hier auf den Fersen war. Aber was Popi dort macht, wusste Ben auch nicht. Oder er sagt es nicht, was wahrscheinlicher ist.«
    Angelicas Stimme schwankte. »Er peitscht die Massen auf, Jilly, er sagt ihnen, dass Mandela bald frei sein wird, verspricht ihnen, dass sie dann Land bekommen, Häuser, Reichtümer …«
    Jill unterbrach sie. »Du meinst, dass Popi, unser Freund, mit dem wir unsere Kindertage verbracht haben, uns von unserem Land verjagen will? Das glaub ich nicht, Angelica, das würde er nie tun. Er kämpft gegen den Staat, nicht gegen uns. Wir sind doch miteinander aufgewachsen, wir waren doch wie Geschwister – unsere Farm ist auch seine Heimat.«
    Ihre Heimat war Afrika, die Ostküste der Südspitze Afrikas, das fruchtbare, grüne Natal. Hier in den Hügeln Zululands war sie geboren und aufgewachsen. In dem Land, das Himmel heißt. Hier lebte sie. Sie war Afrikanerin.
    Popi Kunene war auch Afrikaner. Er war nur wenige Kilometer von ihrem Geburtsort auf die Welt gekommen, und das Einzige, was sie unterschied, war der Melaningehalt ihrer Haut. Sie hatte wenig, ihre Familie, die Courts aus Cornwall in England und die Steinachs aus Bayern, waren erst vor einhundertfünfzig Jahren in dieses Land gekommen. Sie war weiß. Seine Vorfahren lebten seit Anbeginn der Dinge unter der sengenden afrikanischen Sonne, als Schutz hatte seine Haut viel Melanin ausgebildet. Seine Haut war schwarz.
    Sie wartete auf eine Antwort, doch ihre Freundin schwieg. »Angelica, bist du noch da? Er wird unsere Farmen in Ruhe lassen, er ist hier zu Hause.«
    »Das sag ich mir ja auch immer … du kennst mich doch, Angelica, die Unerschrockene«, ihr Auflachen klang kratzig, »aber er ist gefährlich, Jill, er ist nicht mehr der Popi unserer Kindheit. Mir zittern die Knie, wenn ich nur daran denke, dass er sich unsere Farm aussuchen und sie seinen Anhängern versprechen könnte.« Wieder schwieg sie, die Leitung rauschte und knisterte, als hielte Jill eine Muschel an ihr Ohr und hörte das Strömen ihres eigenen Blutes. Dann drang Angelicas Stimme wieder durch. »Er peitscht die Leute mit Parolen auf, wirft ihnen Münzen vor die Füße, so dass sie vor ihm auf die Knie fallen müssen, umtanzt sie, hypnotisiert sie mit seinem verdammten Schlangenbeschwörertanz – ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich nur ein bisschen weiterdenke … Erinnerst du dich noch, wie er die Katze umgebracht hat?«
    Oh ja, das würde sie nie vergessen! »Wie« hatte Angelica gesagt, nicht »als«. Popi hatte das grau gestreifte Kätzchen am Hals gepackt und hatte ihm in die Augen gesehen, während er dem jämmerlich strampelnden Tierchen langsam die Luft abdrückte. »Tom hat ihn dabei erwischt und windelweich geprügelt. Kinder sind manchmal grausam. Das heißt noch lange nicht, dass sie zu schlechten Menschen werden …« Sie redete viel zu schnell, das merkte sie. Wie um sich selbst zu überzeugen. »Er war erst zehn und wütend, weil die Katze ihm das Gesicht zerkratzt hatte.« Und seine Augen haben dabei vor Vergnügen geglüht, das hatte sie verdrängt. Sie setzte sich hin. Plötzlich schienen ihre Beine seltsam schwach.
    »Er nennt sich jetzt Blackie Afrika …«, fuhr ihre Freundin fort.
    »Blackie Afrika?«, unterbrach sie. »Welch ein Quatsch. Für mich ist und bleibt er Popi.« Popi, mit dem sie aufgewachsen war. Der ihr Bruder war, nicht ihres Blutes, wie Tommy, aber trotzdem wie ein Bruder. Der Name, den ihm seine Mutter bei der Geburt gegeben hatte, war Thando – der, der geliebt wird. Doch keiner nannte ihn so. Für seine Freunde war er Popi, und der Name, den
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