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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt
Autoren: Stefanie Gercke
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schließlich war Martin zu der Zeit praktisch noch ein Kind gewesen, erst zwölf Jahre alt oder so. Noch einmal rüttelte sie energisch an dem Türriegel. Er saß unverrückbar fest. Sie hatte sich getäuscht. Sie wandte sich um und stand sich plötzlich selbst im Spiegel gegenüber.
    Die Zeit verschob sich, und nicht die junge Frau Anfang zwanzig im ärmellosen Hemd und knappen Höschen sah sie an, sondern das kleine, siebenjährige Mädchen, das vom Eigentümer des Ladens in Mtubatuba dabei erwischt worden war, als sie sich mit einem Schokoladenriegel in der Faust an der Kasse vorbeidrücken wollte. Es war ihr bisher unangenehmstes Erlebnis gewesen und das Donnerwetter ihres Vater ihre bisher größte Katastrophe.
    Ihr Spiegelbild errötete noch nach all diesen Jahren vor Scham. Dann lächelte sie verlegen, und ihr stand wieder die junge Frau in weißem Hemd und Höschen gegenüber, die genauso wenig mit dem kleinen Mädchen von damals zu tun hatte wie Martin mit dem grässlichen Pickeljungen. Im Spiegel hinter sich sah sie das Telefon auf der Kommode stehen und beschloss, auf der Stelle ein kleines Schwätzchen mit Tita zu halten. Sie wählte ihre Nummer.
    »Dies ist der Anrufbeantworter von Tita Robertson«, leierte die Ansage, und Jill wollte gerade auflegen, als die Stimme stockte. »Rupert, hör auf, du verdammter Köter«, zischte Tita und lachte dann los. »Also gut, wer ist dran?«, fragte sie, und als Jill sich meldete, lachte sie noch einmal. »Rupert, dieser verrückte Hund, ist ins Badezimmer gerannt, hat sich das Ende von der Klopapierrolle geschnappt, wetzt jetzt im Garten herum und wickelt die Büsche ein. Es ist erstaunlich, wie viele Meter auf so einer Rolle sind.«
    Jill stellte sich Titas jungen Beagle vor, der mit wehenden Ohren durch den Garten sauste und alle Büsche mit Klopapier umwickelte. »Mach ein Foto, damit kannst du Christo Konkurrenz machen«, riet sie und trug dann ihr Anliegen vor. Nach wenigen Minuten legte sie höchst zufrieden auf. Tita kannte den Reeder und würde ein paar Worte seiner Frau gegenüber fallen lassen. Beziehungen waren doch mindestens der halbe Erfolg. Gähnend ging sie in Richtung des Badezimmers, freute sich auf eine lange, genussvolle Dusche. Sie war kaum drei Schritte zur Tür gegangen, als sie es wieder vernahm. Sie hielt den Atem an und lauschte. Es war absolut still im Raum, aber sie hatte etwas gehört, ganz deutlich. Sehr langsam wandte sie sich um und erstarrte.
    Da war sie – und hatte den Blick unverwandt auf sie gerichtet.
    Sie war wunderschön, das musste Jill zugeben. Große, kohlschwarze Augen, eine kurze Nase, schmaler, edler Kopf. Ihr Körper war schlank und elegant, glänzend grün mit goldenen Reflexen und einem Schimmer von Blau. Jill sah genauer hin, entdeckte keine schwarzen Punkte entlang ihrer Seite.
    Keine harmlose Grasschlange. Eine grüne Baumschlange. Ihr Gift war tödlich. Aufs Neue wunderte sie sich, wie ein so zerbrechlich wirkendes Wesen die Macht hatte, einen Menschen zu töten. Das Reptil hing, seinen Leib um den blühenden Bougainvilleazweig gewickelt, der ein Stück weit durch das Fenster ins Zimmer ragte und den sie schon gestern hatte abschneiden wollen, wie ein elegant hingewischter grüner Pinselstrich in der Luft. Sie beugte sich vor. Das Tier war kaum eineinhalb Meter entfernt, seine spektakuläre Schönheit verriet ihr, dass es ein Männchen war. Weibchen waren matter gefärbt. Sie rührte sich nicht. Als kleines Mädchen hatte sie von Ben Dlamini, dem Zulu, gelernt, Schlangen zu verstehen. Ben war Nellys Mann und der Häuptling des kleinen Dorfes auf Inqaba, in dem alle Farmarbeiter wohnten. Ein Häuptling niederen Ranges nur, aber sich seiner Würde voll bewusst.
    »Wenn du in den Busch gehst, werden viele Augen deinen Weg begleiten, auch wenn du meinst, du wärst allein. Du musst immer genau prüfen, wohin du deine Füße setzt, Intombazani, mein kleines Mädchen. Wenn sie dir feindlich gesinnt sind, zeigen sie sich nicht offen, sie verstecken sich und warten, bis du ganz nahe gekommen bist, und dann schlagen sie zu.«
    Sie erinnerte sich noch genau, dass der alte Harry in diesem Moment vorbeiging und laut auflachte. Es klang wie eine Fanfare. »Ausgezeichneter Rat, Ben, hervorragend! Passt in allen Lebenslagen.« Als junger Mann war er Testpilot in der britischen Airforce gewesen, hatte irgendwann mal eine Kaffeeplantage in Angola geleitet und lebte heute in einem Rondavel abseits des Küchentrakts. Er war ein
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