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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur
Autoren: Amelia Carr
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Schmeicheleien war, mit denen sie mich um den Finger gewickelt hat.
    Â»Also, was gibt’s?«
    Â»Die Klimaanlage ist kaputt. Kannst du jemanden schicken, der sie mir repariert?«
    Jemanden schicken, der sie repariert – und die Rechnung bezahlen.
    Â»Hat das nicht noch Zeit?«, frage ich ohne viel Hoffnung.
    Â»Bei dieser Hitze? Ist das dein Ernst? Ich bin kurz vor dem Verschmoren. Letzte Nacht habe ich kaum ein Auge zugekriegt!«
    Ich stoße einen Seufzer aus. »Okay, ich kümmere mich drum.«
    Â»Du rufst jetzt gleich jemanden an?«
    Â»Ja, klar.«
    Â»Aber bitte wirklich! Wir wollen uns doch nicht überwerfen, Schatz, oder?« Sie lächelt mich zuckersüß an, und ich erhasche einen Blick auf das Mädchen, in das ich mich damals verliebt habe und das leider ziemlich schnell verschwand, als ich Mary-Lyns großzügigen Umgang mit Geld, das ich nicht besaß, einschränken musste.
    Wir hatten eine schöne Zeit, Mary-Lyn und ich, ab und zu jedenfalls. Manchmal wünschte ich mir fast, wir könnten noch mal von vorn anfangen, unter anderen Voraussetzungen.
    Sie steigt in ihr Auto, lässt den Motor an und braust in einer Staubwolke davon. Ich hole eine Zigarette heraus und zünde sie mir an.
    Rauchen ist eines der letzten großen Tabus unserer Zeit. Extrem unsozial. Man kann ruhig einen Mord begehen, irgendjemand wird schon eine Entschuldigung dafür finden. Aber steck dir eine Zigarette an – und sofort gehörst du zu den Unberührbaren. Aber das ist mir egal, verdammt. Wenn ich auf meinem eigenen Flugplatz eine Zigarette rauchen will, dann tue ich das auch. Und jetzt habe ich wirklich eine nötig, denn Mary-Lyn hat mich mal wieder auf die Palme gebracht.
    Wo zum Teufel soll ich bloß das Geld hernehmen, um ihre Klimaanlage zu reparieren? Aus der Firma kann ich nicht noch mehr rausholen – das Geld ist einfach nicht da. Wenn ich mich noch weiter aus dem Fenster lehne, sitzen mir die Gläubiger auf den Fersen und wir gehen bankrott. Ach, verdammt, wahrscheinlich gehen wir sowieso bankrott. Obwohl es nicht meine Schuld ist, wirft Varna Aviation einfach keinen Gewinn mehr ab. Mir ist klar, dass ich trotzdem wieder derjenige sein werde, der sich dafür verantworten muss. Meine Mutter wird zwar vielleicht nicht laut aussprechen, dass die Firma niemals den Bach runtergegangen wäre, wenn John noch leben würde, aber sie wird es denken. Das werde ich an ihrem Blick erkennen. Und dann werde ich knurren und schnappen wie ein verwundeter Löwe, aber innerlich werde ich mal wieder spüren, wie ein Stück von mir stirbt. Ritchie, der Versager – Ritchie, der nie etwas richtig macht.
    Wissen Sie, wie es ist, wenn man sein Leben lang im Schatten eines anderen Menschen steht? Ich sag’s Ihnen – es ist die Hölle. Vor allem, wenn dieser Andere der eigene Bruder ist.
    Als ich klein war, war es nur natürlich, vermute ich. Er war vier Jahre älter als ich; ich habe mich an ihn gehängt, und er hat mich geduldet. Natürlich wollte ich so sein wie er. Das tun, was er tat, die Sachen haben, die er hatte. Ich beneidete ihn um seine Spielsachen: den ferngesteuerten LKW , während ich mich noch mit einem Aufziehmodell zufriedengeben musste; das richtige Fahrrad, auf dem er herumbrauste, während ich auf meinem Dreirad hinterherzockelte. An warmen Sommerabenden wünschte ich mir, ich könnte genauso lange aufbleiben wie er. Wie oft bin ich abends heimlich aus dem Bett gekrochen – der unteren Etage des Stockbetts natürlich, John hatte selbstverständlich die obere – und habe neidisch vom Fenster aus zugesehen, wie er draußen noch Trampolin sprang oder auf dem Baum herumkletterte! Ich wünschte mir immer bloß, dass die Zeit möglichst schnell weiterrasen möge, damit ich endlich dasselbe machen könnte wie er. Und dabei kam es mir nie in den Sinn, dass er natürlich ebenfalls älter wurde und mir immer einen Schritt – oder sogar mehrere – voraus sein würde.
    Als ich dann älter wurde, gelangte ich allmählich zu der Einsicht, dass ich John niemals gewachsen sein würde. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem mir das zum ersten Mal bewusst wurde. Beim Sportfest in der Grundschule. John war gut in Sport – ja, verdammt, John war eigentlich bei allem gut, was er versuchte. Er lief richtige Wettrennen mit den großen Jungen und
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