Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur
Autoren: Amelia Carr
Vom Netzwerk:
unweigerlich verletzt worden. Doch andere wären durch die Wahrheit anstelle von Halbwahrheiten, durch Gewissheit anstelle eines heimlichen Verdachts von einer schweren Last befreit worden.
    Mir war immer klar, dass es in meiner Familie Dinge gab, über die nicht geredet wurde. Spannungen, die ich nicht verstand. Jedenfalls wurde mir schon zu einem recht frühen Zeitpunkt bewusst, dass manches seltsam war: Meine Mutter reiste kaum je in ihre eigentliche Heimat Florida zurück, die sie mit neunzehn verlassen hatte, um in England meinen Vater zu heiraten. Sie erzählte nur selten von ihrer Mutter Nancy, meiner Großmutter, und praktisch nie von ihrem Bruder Ritchie. Und wenn ich alljährlich in den Ferien ins sonnige Florida reiste, um meine Großmutter zu besuchen – zunächst noch unter der Obhut des Kabinenpersonals, später dann allein –, war meine Mutter immer besonders gereizt und schlecht gelaunt. Ich fragte mich natürlich schon manchmal, woran das lag, und versuchte mir aus Fotos, Daten und bruchstückhaften Informationen die Gründe zusammenzureimen. Aber mit meinen Vermutungen habe ich die Ursachen nicht einmal annähernd erraten. Erst jetzt, im letzten Jahr, ist die Wahrheit ans Licht gekommen.
    Und dabei musste ich erfahren, dass ich meine Familie überhaupt nicht richtig kannte.
    Florida, Sommer 2006
    Wenn es etwas gibt, was ich liebe und was mich vom Stress und den selbstauferlegten Zwängen des Lebens befreien kann, dann ist es das Fliegen. Man könnte durchaus sagen, dass ich es im Blut habe.
    Meine Urgroßeltern, die Eltern von Grandma Nancy, waren Flugartisten, die mit einem der damals so beliebten Flugzirkusse durch die Lande zogen; ihr Vater war Kunstflieger, ihre Mutter eine Flugakrobatin. Nancy erzählte, dass sie selbst in einer Scheune irgendwo im Mittleren Westen das Licht der Welt erblickte und bereits im zarten Alter von vier Jahren als Hilfe bei einem Kunststück eingesetzt wurde: Sie musste sich hinter einem Stapel Flaschen verstecken und diesen genau in dem Moment umschmeißen, in dem ihr Vater darüber hinwegflog und vorgab, darauf zu schießen. Nancy hatte fliegen gelernt, noch ehe sie Auto fahren konnte; dann hatte sie für Grandpa Joe gearbeitet, der Streuflugzeuge geflogen hatte und sein Geschäft ausbauen wollte. Die beiden hatten geheiratet und gemeinsam Varna Aviation aufgebaut. Ach ja, und natürlich nicht zu vergessen: Beide waren sie im Zweiten Weltkrieg geflogen – Grandpa Joe für die USAAF 1 und Grandma Nancy bei der Air Transport Auxiliary in England, die im Zubringerdienst Flugzeuge von Fabriken zu den Flugplätzen oder von einem Stützpunkt zum anderen brachte.
    Ja, folglich kann man wohl sagen, dass ich das Fliegen im Blut habe, und nirgendwo fühle ich mich mehr zu Hause als in der Luft. Besonders in Florida. Hier habe ich mit siebzehn bei einem ausgedehnten Ferienaufenthalt das Fliegen gelernt – und als ich nach meinen Sommerferien wieder nach Hause zurückkehrte, hatte ich nicht nur alle theoretischen und praktischen Prüfungen bestanden, sondern sogar genügend Alleinflüge absolviert, um den Privatpilotenschein zu bekommen.
    Meine Mutter war nicht gerade begeistert. »Die haben doch ganz genau gewusst, dass ich nicht wollte, dass du dich mit Flugzeugen abgibst!«, sagte sie missbilligend. Und: »Denk bloß nicht, dass du damit hier weitermachen kannst. Du musst dich auf die Uni konzentrieren, und außerdem ist es viel zu teuer.«
    Da hatte sie leider Recht, ich hatte keine Ahnung, wie ich neunzig Pfund pro Stunde auftreiben sollte, um eine Cessna oder eine PA 28 zu chartern, und sie würde mich auf keinen Fall dabei unterstützen.
    Â»Schließlich ist dein Onkel John so ums Leben gekommen«, sagte sie, als ob ich das nicht längst wüsste. »Ich möchte auf keinen Fall, dass dir das Gleiche passiert.«
    John, ihr älterer Bruder. Noch einer aus der Familie der fliegenden Costellos. Ich verkniff mir, sie darauf hinzuweisen, dass der ganze Rest der Familie das Fliegen bis ins hohe Alter überlebt hatte. Mir war klar, dass es keinen Sinn hatte, mit meiner Mutter zu diskutieren. Doch trotzdem fragte ich mich, warum ausgerechnet sie nicht von dem Fieber gepackt worden war, das alle anderen ergriffen hatte. Soviel ich weiß, war sie nie geflogen und hatte es auch nie gewollt. Es gibt eine Familienanekdote, dass Grandpa Joe einmal versucht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher