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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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die gelb angestrahlte Palastanlage aus, als würde sie über der
Stadt, in der nur ein paar Lichter brennen, schweben. Auf dem Platz spielt jemand auf der Gitarre, ein Mädchen jongliert mitFeuerbällen, ein Junge trommelt auf einem afrikanischen Djembé. Zur fortgeschrittenen Stunde verirrt sich kaum ein Tourist auf den Platz, der weit oben
im Albayzin liegt, die Bewohner, fast ausschließlich junge Alternative und Gitanos, spanische Roma, haben ihn jetzt ganz für sich. Als es schon fast
zwölf Uhr ist, packt mich Esther am Arm. „Lass uns zu Charo gehen.“ Pedro lässt sie auf dem Platz zurück, er ist gerade in ein Gespräch vertieft.
    Nur ein paar hundert Meter entfernt liegt das einstöckige Häuschen, in dem Charo in einer Zweier-Wohngemeinschaft lebt. „Tanto tiempo! – So viel Zeit
ist vergangen“, begrüßt sie mich stürmisch und drückt mich fest. Als wir uns wieder loslassen, steuert sie in die Küche, holt eine große Bierflasche
aus dem Kühlschrank und lotst uns auf die legendäre Dachterrasse. „Das passt perfekt, mein letzter Mitbewohner ist gerade ausgezogen“, sagt sie, nimmt
einen großen Schluck aus der Flasche und reicht mir dann das Bier. Ich erzähle ihr von meinen Plänen, ein paar Monate in Granada zu bleiben, um für den
Dokumentarfilm zu recherchieren. „Hier gibt es eine riesige Auswahl an interessanten Andalusierinnen“, sagt sie augenzwinkernd, Charo steht auf Frauen,
und: „Du kannst gleich morgen früh mit deinen Sachen vorbeikommen.“ Dann erzählt sie von ihrem neuen Projekt, im Rathaus soll sie einen Saal
bemalen. Esther und ich lauschen begeistert, doch plötzlich überkommt mich eine große Müdigkeit. Ich merke jetzt doch, dass ich fast drei Tage lang
hinterm Steuer gesessen bin.

    Am nächsten Morgen schlafen Esther und Pedro noch, als ich aus dem Haus gehe. In den Gassen des Albayzin ist es still, die Sonne
brennt auch im September schon um neun Uhr gnadenlos auf die Stadt herunter. Obwohl ich nur ein leichtes Sommerkleid anhabe, bilden sich Schweißperlen
auf meiner Stirn. Meine neue Mitbewohnerin ist bestimmtauch noch nicht wach, weshalb ich beschließe, erst einmal zu frühstücken. In
einer kleinen Bar hinter dem Mirador San Nicolás bestelle ich am Tresen einen Café con Leche und ein getoastetes Weißbrot mit geriebener Tomate und
Olivenöl. Der Kellner scheint ein Morgenmuffel zu sein, meine Bestellung nimmt er entgegen, ohne die Miene zu verziehen, und als ich nach der
Tageszeitung frage, legt er sie mir wortlos neben den Kaffee. Trotzdem kann ich mir gerade keinen besseren Start in den Tag vorstellen.
    Als ich wieder aufblicke, lässt sich eine Gruppe Marokkaner an einem der Tische auf der Terrasse nieder. „Sie waren bestimmt gerade beim Morgengebet in
der Moschee von Granada“, sage ich halblaut vor mich hin. Mit einer Antwort des Kellners rechne ich nicht. In der Nähe des bekannten Aussichtspunkts
hat die islamische Gemeinde der Stadt im Jahr 2003 den Tempel eingeweiht, mitten im arabischen Viertel Albayzin. Mehr als fünfhundert Jahre waren da
seit der christlichen Rückeroberung der Stadt durch die Katholischen Könige im Jahr 1492 vergangen; in all den Jahren hatte es keine Moschee in der
Stadt gegeben. In den engen Straßen von Granada war der Geist der Mauren, der mittelalterlichen islamischen Besatzer der Iberischen Halbinsel, zwar
stets präsent, aber erst in den letzten Jahren kamen auch die Muslime zurück. Den Anfang machten die Marokkaner, die im unteren Albayzin Teehäuser
eröffneten und Schmuck und Kleider aus ihrer Heimat verkauften. Zu der islamischen Gemeinschaft gehören heute aber auch viele Spanier und Europäer, die
zum Islam konvertiert sind.
    „Cuánto es? – Wie viel macht das?“, frage ich den Kellner. Nachdem er kassiert hat, frage ich ihn noch, ob man die Moschee einfach so besuchen
könne. „Ja“, sagt er mürrisch. Es scheint nicht sein Lieblingsthema zu sein. „Gleich gegenüber ist der Eingang.“
    Die Architekten des Tempels haben sich an der altenmaurischen Bauweise orientiert. Überall sind Sterne und Halbmonde versteckt, auch
der Garten ist sternförmig angelegt, in der Mitte plätschert ein kleiner Brunnen, verziert mit bunten maurischen Kacheln. Die Moschee selbst ist ein
riesiger runder, mit Teppichen ausgelegter Raum. Ein paar Männer in weiten weißen Hosen und Hemden reden und gestikulieren wild in einer Ecke. Auf einem
schwarzen Brett sind verschiedene Termine angeschlagen. Ganz unten steht, dass
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