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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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meiner. „Ven! – Komm mit“, sagt sie und führt mich zu einem
der niedrigen Häuser gleich in der Nähe.
    „Amaraaa!“, schreit sie, die letzte Silbe des Namens zerrt sie in die Länge, gleichzeitig klopft sie energisch an die Tür. Eine ältere Frau mit
argwöhnischem Blick öffnet. „Sie willFlamenco lernen“, sagt das Mädchen und zeigt auf mich. Die Frau mustert mich von oben nach
unten, dann gibt sie mir anscheinend das Placet, denn mit einer kurzen Kopfbewegung gebietet sie mir, hereinzukommen. Das Mädchen verschwindet, und
einen Moment lang wundere ich mich über meine eigene Courage. Im Halbdunkel der Höhlenwohnung erkenne ich vage Schwarz-Weiß-Fotografien einer
Flamencotänzerin. Der Fernseher läuft, und eine große schwarze Katze räkelt sich auf dem Esstisch. Die Frau setzt sich auf einen Sessel, die Katze
springt auf ihren Schoß, und sie beginnt, das Tier zu kraulen. „Du willst also Flamenco tanzen“, sagt sie, ohne aufzublicken. Ich bin nervös wie bei
einem Bewerbungsgespräch. „Sí“, mehr bringe ich nicht heraus. „Setz dich doch“, sagt die alte Gitana plötzlich freundlich, und das Eis ist
gebrochen. Sie erklärt, dass sie Amara heißt, was auf Kalé, der Sprache der Gitanos, die Frau mit den braunen Füßen heißt. Früher sei sie eine bekannte
Tänzerin gewesen und sogar in Madrid aufgetreten. „Die Aufnahmen sind von mir“, sagt sie stolz und zeigt auf die Fotos an der Wand. Meine Augen haben
sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, eine wunderschöne Frau mit schwarzen Augen, dunkler Hautfarbe, markanter Nase und schwarzem, streng nach
hinten gebundenem Haar blickt mir von den Bildern entgegen. Auf keiner der Fotografien lächelt sie, ihr Blick ist immer todernst. „Geben Sie Unterricht?
“, frage ich. „Ja, aber nur einer Handvoll Mädchen aus dem Viertel“, sagt sie. „Du solltest zu einer der großen Schulen im Zentrum gehen“, rät sie
mir. Doch dass ich bei einer echten Gitana Flamenco lernen will und nicht in einer der modernen Ausbildungsstätten in der Altstadt, habe ich mir fest
vorgenommen. „Kann ich es nicht einmal bei Ihnen versuchen?“, frage ich nachdrücklich und setze meinen nettesten Blick auf. „Vale – Also gut“, sagt
sie schließlich, „komm morgen um sieben Uhr hier vorbei.“
    Als ich am nächsten Tag zu der abgemachten Zeit an ihrer Tür stehe, höre ich schon die rhythmische Musik und das Stampfen der klobigen Absatzschuhe auf
dem Steinboden der Höhle. Ich habe mir zu dem Anlass trotz der Hitze extra einen langen Rock und feste Schuhe angezogen. Als ich in die Höhle trete,
sehe ich drei wunderschöne Gitanas mit Flamencoschuhen, schwarzen, gerafften Kleidern und elegant bestickten Dreieckstüchern, den Mantones. Sie drehen
sich grazil um sich selbst, bewegen ihre Hände mit einer unnachahmlichen Grazie. Am liebsten würde ich gleich wieder rückwärts aus der Tür gehen, aber
Amara hat mich schon entdeckt. „Hast du etwa keine anständige Kleidung?“, fragt sie forsch. Sie verschwindet im hinteren Teil der Höhle und kramt einen
Flamenco-Rock hervor. Doch sofort wandert ihr Blick zu meinen Füßen. „Hier, zieh das an. Und richtige Schuhe brauchst du auch unbedingt.“ Sie schnalzt
ein paar Mal laut mit der Zunge. Kleinlaut sage ich: „Ich glaube, am besten schau ich heute nur zu …“ „Nichts da“, unterbricht mich Amara hart und
herrscht mich dann an: „Venga! – Auf geht’s.“ Ich reihe mich also neben den drei Grazien ein, Amara richtet sich vor uns auf und blickt herausfordernd
geradeaus. Ihren Rock lüpft sie mit beiden Händen hoch, damit wir ihre Füße sehen können. Dann geht es los. Wie ein Wirbelwind stampft sie im Takt der
Musik auf den Boden, den übrigen Körper hält sie steif, nur die Füße sind in ständiger Bewegung. Dann lassen ihre Hände den Rock fallen und beginnen wie
Wellen um ihren Körper zu tanzen. Die Finger spreizen sich grazil ab. Meine drei Mitstreiterinnen tun es ihr gleich, nur ich bleibe wie ein Stock
stehen. Amara korrigiert die Bewegungen der Mädchen scharf, an denen in meinen Augen nichts zu bemäkeln ist. Für mich hat sie kein Wort übrig. Ich
versuche alles nachzuahmen, fühle mich aber eher wie ein Trampeltier als wie eine Flamencotänzerin.
    Die Stunde vergeht wie in Zeitlupe. Ich warte, bis die drei Mädchen sich verabschiedet haben, dann sage ich: „Amara, ich glaube, ich muss Einzelstunden
nehmen. In deine Gruppe kann ich nicht einsteigen.“ Ich scheine ihr wirklich
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