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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Autoren: Trevanian
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spielen. Und die größte Sünde ist, wenn einer reizt, der nichts in der Hand hat als eine lausige Mariage.«
    »Komm jetzt! Sei doch mal ernst!« Moische nimmt die fast leere Schnapsflasche und gießt jedem ein, um die Freunde noch etwas länger an den Tisch zu fesseln. Er wendet sich an den Priester. »Martin? Was ist in Ihren Augen die größte Sünde?«
    »Hm-m-m.« Martin blinzelt, als er darüber nachdenkt. »Ich glaube Verzweiflung.«
    Moische nickt eifrig. Die intellektuellen Möglichkeiten des Problems erregen ihn. »Verzweiflung. Ja. Das ist gut. Eine Sünde – ganz klar. Aber keinesfalls ein Verbrechen. Verzweiflung. Eine Ursünde. Eine Sünde, die andere Sünden zeugt. Ja. Sehr gut.«
    David stürzt seinen Drink runter und verkündet: »Ich werd' euch sagen, was das größte Verbrechen ist!«
    »Sprichst du jetzt im Ernst?« fragt Moische. »Du spielst a Musik, die keiner braucht.«
    »Ich spreche ganz im Ernst. Hört zu! Das einzige Verbrechen ist Diebstahl! Diebstahl! Ist euch klar, daß man wegen schwerem Diebstahl länger im Knast sitzt als wegen Totschlag? Und was ist denn Mord anderes als der Raub eines Menschenlebens? Wir bestrafen ihn so, weil es ein Diebstahl ist, für den es keine Wiedergutmachung gibt. Und Notzucht? Nichts anderes als der Griff in die Kasse einer Frau, die davon lebt wie Prostituierte … und verheiratete Frauen. Alles Diebstahl! In Wirklichkeit geht's uns doch nur ums Eigentum, und alle Gesetze sind dazu da, das Eigentum zu schützen. Wenn einer frech und offen klaut, dann machen wir ein Gesetz gegen ihn und hetzen ihm einen wie Claude auf den Hals. Wenn aber einer raffiniert und hinterhältig klaut – ein Hausbesitzer oder ein Gebrauchtwagenhändler etwa –, können wir kein Gesetz gegen ihn machen. Nämlich, die Herren da oben in Ottawa, das sind ja doch die Hausbesitzer und die Gebrauchtwagenhändler! Denen können wir mit dem Gesetz nicht kommen. Und was machen wir? Wir erzählen ihnen, was ihr da macht, ist Sünde. Wir sagen, Gott sieht alles und wird euch bestrafen. Das Gesetz ist die Keule in der Faust. Die Religion ist die Keule hinter dem Rücken. Na, bitte! Nun seid ihr dran: Habe ich ernst gesprochen oder nicht?«
    »Ernst gesprochen schon«, gibt Moische zu. »Aber wenig gesagt. Immerhin für deine Verhältnisse war's nicht schlecht.«
    »Na, dann vergiß es!« sagt David ärgerlich. »Was soll überhaupt das ganze Gerede? Es nützt einem soviel wie a toiter Blutegel.«
    Moische wendet sich zu LaPointe: »Claude?«
    LaPointe schüttelt den Kopf. »Laßt mich da raus. Ich hab' keine Ahnung von Sünde.«
    »Ah!« sagt David. »Der Mann, der ohne Sünde ist. Armer Mensch!«
    »Also gut, dann Verbrechen«, forscht Moische weiter. »Was ist das größte Verbrechen?«
    LaPointe zuckt die Achseln.
    »Mord?« schlägt Pater Martin vor.
    »Nein, Mord nicht. Mord ist selten …« LaPointe sucht nach Worten, und was er schließlich sagt, klingt sehr albern. »Mord ist selten kriminell. Ich meine … der Mörder ist meistens kein Krimineller – kein Profi. Meistens ist es ein verstörter Bengel, der mit einer billigen Kanone einen Überfall macht. Oder ein Besoffener, der nach Hause kommt und seine Frau mit 'nem andern im Bett vorfindet. Manchmal auch ein Irrer. Aber nur ganz selten ein richtiger Verbrecher, wenn ihr wißt, was ich meine. Was meinst denn du, Moische?« fragte LaPointe, um wieder aus der Schußlinie zu kommen. »Was, meinst du, ist die größte Sünde?«
    Bei Moische macht sich jetzt der Schnaps bemerkbar. Er hält die Augen auf die Tischplatte gerichtet und spricht über Dinge, die er nur selten erwähnt: »Ich habe eine Menge über Verbrechen nachgedacht und über die Sünde, als ich im Lager war. Ich habe furchtbare Verbrechen gesehen, Verbrechen, die so entsetzlich waren, daß sie mit dem Begriff ›menschliches Elend‹ nicht mehr zu erfassen sind, daß sie nur noch statistisch zu erfassen sind. Wer das gesehen hat, der kann über eine Schlägerei vor einer Bar oder über einen Diebstahl oder einen Totschlag nur die Achseln zucken. Das Herz und das Vorstellungsvermögen können wie Hände Schwielen kriegen, können empfindungslos werden. Das meint man, wenn man sagt, jemand ist bestialisiert. Sie haben uns bestialisiert, und damit meine ich nicht, daß wir von Bestien geschlagen und gefoltert wurden. Nein, ich meine damit: geschlagen werden, bis man selber zur Bestie wird. Bis man derart zum Vieh wird, daß man die Schläge verdient.« Moische
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