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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Autoren: Trevanian
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Füße der Passanten ihn noch nicht zu Matsch zertreten haben, hat der Schnee eine Höhe von acht Zentimetern erreicht. Der Wind weht noch immer stark und bläst die Flocken fast horizontal über das Fenster des Restaurants und Kaffeehauses Le Shalom. Drinnen, wo feuchte Mäntel dampfen und kleine Lachen Schmelzwasser die Fliesen rutschig machen, bellt die chinesische Kellnerin dem unentwegt leidenden griechischen Koch Bestellungen zu und sagt den Kunden, sie sollten auf dem Teppich bleiben; schließlich habe auch sie nur zwei Hände.
    In der Koje nahe der Theke sitzen zwei Mädchen. Sie kichern und sind sehr aufgeregt, weil sich da etwas anspinnt. Das eine Mädchen stößt das andere mit dem Ellenbogen an und sagt: »Frag ihn doch.« Die andere hält sich die Hand über den Mund und schüttelt mit glänzenden Augen den Kopf. »Ich doch nicht! Frag du ihn!« Sie riskiert einen raschen Blick zu den beiden grinsenden ungarischen Jungen in der nächsten Koje. »Mach schon!« drängt das erste Mädchen und unterdrückt ihr Gekicher. »Nein, frag du ihn!«
    Die chinesische Kellnerin hat gerade Zeit, sich eine Zigarette zu greifen. Sie murmelt vor sich hin: »Himmeldonnerwetter, nun frag doch endlich eine!«
    Vier junge Frauen aus der Kleiderfabrik gehen übermütig die St. Laurent herunter, lachen und necken einander mit ihren Freunden. Eine versucht, mit der Zunge eine Schneeflocke zu erwischen, eine andere stimmt ein unanständiges Lied von einem Pfannenflicker an, der einem die Pfanne flickt wie nie zuvor, wenn man ihm schenkt einen écu davor. Sie haben sich untergefaßt und alle vier gehen quer über den Gehsteig mit weit ausholenden, festen Schritten und singen dazu aus voller Kehle. Sie überholen einen alten chassidischen Juden mit Peies an den Schläfen und dem Streimel auf dem Kopf und im langen schwarzen Mantel, auf dem sich Flocken sammeln. Ausgelassen gehen sie auseinander, je zwei zu beiden Seiten, fassen den erschrockenen Mann unter und ziehen ihn in einem Tempo mit sich, das seinem würdevollen Schritt ganz fremd ist. »Spendier uns was zu trinken, Pater. Na, was meinst du?« ruft eine, und die andern lachen. Der alte Mann bleibt stehen, und die Mädchen laufen weiter, haken sich wieder unter und zerren ihre Körper übermütig vorwärts. Er schüttelt, verwirrt, doch nicht verärgert, den Kopf. Jugend. Jugend. Er schaut erst prüfend nach dem Straßenschild, wie er es immer tut, bevor er zu seiner Wohnung abbiegt, in der er schon seit zwanzig Jahren wohnt.
    Der Schnee stiebt am dunklen Fenster eines Fischgeschäfts vorbei, in dem ein gläsernes Bassin mit grünen Algen an den Wänden steht. Ein einsamer Karpfen gleitet in dumpfer Verzweiflung darin hin und her.
    Die lange hölzerne Vortreppe zu LaPointes Haus ist mit einer fünfzehn Zentimeter hohen, noch unberührten Schneedecke zugedeckt. Er hält sich am Geländer fest und zieht sich, müde und leer, von Stufe zu Stufe hinauf. Da er den Kopf gesenkt hält, sieht er zuerst ihre Füße, dann ihre ramponierte Einkaufstasche. »Hallo«, sagt er.
    Er geht wortlos an ihr vorbei und macht die Haustür auf. Sie folgt ihm ins Treppenhaus, in dem eine einsame Fünfzehn-Watt-Birne brennt. Er lehnt sich an das Treppengeländer und schaut sie mit verhangenen Augen an.
    Sie zuckt die Achseln und preßt die Lippen zu einem halben Grinsen zusammen. Ihre Miene sagt: Nun ja, da bin ich. So geht es eben.
    LaPointe reibt sich die stoppelige Backe. Was soll das alles? Er braucht es nicht. Er ist am Ende, leer und mit sich selbst im reinen. Er will es in Ruhe hinter sich bringen, eingesponnen in sein Einerlei, in seinem Lehnstuhl am Fenster, mit seinem Kaffee, seinem Zola. Sieht nicht danach aus, daß sie bleibt. Kaum hat sie wieder einen hübschen Griechenjungen getroffen, der ihr einen Ouzo spendiert und mit ihr tanzt, wird sie wieder weg sein. Und wahrscheinlich wird sie gerade dann wieder hier herumschnüffeln, wenn er genug von ihr hat. Was ist sie denn schon? Ein dummes Ding, so alt wie seine Tochter, wie seine Frau. Und, was das Schlimmste ist, er wird ihr von dieser Sache in seiner Brust erzählen müssen. Es wäre nicht recht, wenn er es darauf ankommen ließe, daß sie eines Morgens aufwacht und die Hand nach ihm ausstreckt. Und entdeckt, daß er …
    Nein, besser, man will nichts mehr, braucht nichts mehr. Es hat keinen Sinn, sich zu öffnen, bis es weh tut. Es tut nur weh. Es ist saublöd. Saublöd.
    »Wie wär's mit einer Tasse Kaffee?« fragt er.
     
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