Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Autoren: Trevanian
Vom Netzwerk:
werden. Frauen halten sich Zeitungen zeltartig übers Haar. Brillenträger neigen den Kopf, um über den Brillenrand schauen zu können. Bekannte begegnen sich an Bushaltestellen und schimpfen: der gottverdammte Schnee. Wird man wohl morgen kaum zur Arbeit gehen können. War einfach zu schön, um von Dauer zu sein, das Hundewetter.
    Der Schnee schraffiert die Scheinwerfer der Lastwagen, die auf dem Gipfel der Anhöhe, die die untere Main von der italienischen Main trennt, sich an dem verlassenen Park im Carré Vallières vorbeimahlen. LaPointe sitzt auf einer Bank, ganz allein in dem abgezäunten Dreieck aus Ruß und verdorrten Bäumen, bei dem er immer an seine Pensionierung denken muß. Eingemummelt in seinen berühmten ausgebeulten Mantel, isoliert und abgeschirmt von Dunkelheit und Schnee, sitzt der Lieutenant da und weint.
    Die Narbe über seinen Gefühlen ist aufgerissen, und sein Schmerz quillt heraus. Er schluchzt nicht. Die Tränen strömen ihm aus den Augen, und sein Gesicht ist naß.
    LaPointe empfindet einen tiefen Schmerz. Um seinen Großvater, um Lucille, um Moische. Vor allem aber … um sich selbst. Um sich.
    Er grämt sich, daß ihn sein Großvater ohne Schutz und Schirm zurückgelassen hat. Er grämt sich, daß Lucille sterben mußte und seine Liebesfähigkeit ins Grab mitgenommen hat. Er grämt sich, daß er nun Moische verliert, seinen letzten Freund.
    Und schließlich ist er traurig über den armen alten Drecksack, der er ist, mit dieser Blase in der Brust, die ihm nun bald das Leben nehmen wird, das er nie so recht gelebt hat. Er ist traurig über den armen alten Drecksack, der nie den Mut hatte, über das Verlorene Schmerz zu empfinden und darüber hinwegzukommen.
    Er überläßt sich dem einschläfernden Genuß daran. Es ist ein so gutes Gefühl, den Druck herauszulassen und sich endlich aufzugeben. Natürlich weiß er, daß mit dem Schmerz seine Kraft und sein Leben herausrinnen. Seine Stärke hat er immer aus seiner Bitterkeit bezogen, seiner Distanz, seiner Gleichgültigkeit. Wenn er ausgeweint hat, wird er leer sein … und alt.
    Aber es tut so gut, es rauszulassen. Nur … alles einfach rauszulassen.
    Zuerst schmilzt der Schnee, als er auf den Gehsteig von Chez Pete's Place fällt, aber schließlich bildet der Matsch eine Insel, und die großen Flocken bleiben noch ein wenig liegen, bevor sie sich auflösen.
    Drinnen sitzt eine Gruppe Penner niedergeschlagen um den Mitteltisch. Sie trinken ihren Wein nur schlückchenweise, damit sie nicht noch eine weitere Flasche bestellen müssen, bevor sie der Besitzer wieder raus ins Wetter schickt. Dirtyshirt Red stiert angeekelt auf zwei Männer, die an einem der rückwärtigen Tische sitzen. Er ruft voller Hohn einem zerlumpten Mann neben sich, der einen doppelten Roten aus dem Bierglas trinkt, zu: »Ist denn das die Möglichkeit? Der einzige, der mit diesem Scheißangeber einen hebt, ist ein Verrückter!«
    Sein Kumpel schaut zu dem Tisch hinüber und grunzt voller Einverständnis zu jeder Verleumdung gegen den Vet, diesen eingebildeten Scheißelecker mit seiner schnuckeligen Bleibe werweißwo.
    An dem rückwärtigen Tisch sitzen, eine Flasche Muskateller zwischen sich, der Vet und der Scherenschleifer. Sie sitzen beieinander, weil sie zusammen genug Geld für eine Flasche hatten. Sie kennen sich natürlich von der Main, aber sie haben bis heute nie miteinander gesprochen.
    »Es geht los«, sagt der Scherenschleifer und starrt zu Boden. »Der Schnee. Ich habe jeden vor ihm gewarnt. Aber die wollen ja nicht hören.«
    »Hältst du das wohl für möglich?« antwortet der Vet. »Sie haben sie eingerissen. Diese gottverdammten Bengels kommen, wie ich nicht da bin, und reißen sie ein. Aus lauter Jux und Dollerei.«
    »Die Leute fallen hin im Schnee, weißt du«, erwidert der Scherenschleifer. »Sie rutschen von den Dächern! Kommt alle naselang vor, aber es ist ihnen egal.«
    Der Vet nickt. »Die kommen und reißen das Dach weg. Dann reißen sie die Wände ein. Aus lauter Jux und Dollerei.«
    Der Scherenschleifer kneift die Augen zusammen und versucht, sich zu erinnern. »Da war mal jemand … jemand Wichtiges. Und der hat zu mir gesagt, dies Jahr kommt kein Schnee. Aber der hat gelogen.«
    »Was willst du machen?« fragt der Vet. »So eine find' ich nie wieder. Einfach eingerissen haben sie sie … eingerissen, weißt du? Rein aus Spaß.«
    Sie starren beide auf denselben Fleck am Fußboden. Geteilter Schmerz.
    Dicht an den Häusern, wo die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher