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Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Titel: Ein guter Mann: Roman (German Edition)
Autoren: Jacques Berndorf
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und warf ihn in den Koffer.
    »Ich muss jetzt los«, sagte er zu Anna-Maria, die ihm die ganze Zeit hinterhergelaufen war und zugesehen hatte.
    »Und wenn du wiederkommst, gehen wir in den Zirkus.«
    »Ganz genau«, nickte er.
    Auf der Treppe veranstalteten sie ein Riesengepolter, weil das Holz nicht abgefedert war und wie eine Trommel dröhnte.
    »Schatz, ich bin weg!«, sagte er und drückte Melanie einen Kuss auf die Wange. »Ich melde mich, wenn es länger dauert.«
    »Ja, guten Flug«, sagte sie ohne jede Betonung. »Schätzchen, komm, bleib hier, du kriegst einen Saft.«
     
    Müller wollte gerade starten, da verharrte er plötzlich. Er fingerte sein privates Handy heraus und rief die Intensivstation an. Er verlangte seine Mutter.
    Sie meldete sich sofort, und er hörte, dass sie geweint hatte.
    »Wie geht es Papa?«
    »Sie sagen, es geht langsam besser. Aber ich glaube, sie wollen mich schonen und sagen mir nicht die Wahrheit. Kannst du nicht ins Krankenhaus kommen, Junge?«
    »Kann er denn wieder sprechen?«
    »Nein, kann er nicht. Aber es heißt, dass das nach einem Hirnschlag sehr lange dauern kann. Das muss Vati dann trainieren. Oh Gott, Junge, komm doch her, ich bin so verzweifelt.«
    »Geht nicht, Mama, ich bin auf einer Dienstreise. Aber ich komme so schnell wie möglich zurück.« Er wusste genau, dass sie alle Stunden sein Handy anwählen würde, aber das ließ er schön abgeschaltet. Er spürte ein sehr starkes, hohles Gefühl von Abwehr im Bauch. »Ich kann die Reise nicht aufschieben«, sagte er heiser. »Es geht einfach nicht. Ich rufe dich wieder an.«
    »Das tust du doch nie«, meinte seine Mutter bitter.
    »Ich verspreche es. Ich rufe dich an.«
    Er stieg wieder aus und lief ins Haus.
    Melanie sah ihn kommen und öffnete die Tür. »Ist irgendetwas?«
    »Ja. Du musst dich um meine Mutter kümmern, bitte. Sie braucht da auf der Intensivstation Unterstützung. Fahr bitte zu ihr.«
    »Und Anna-Maria?«
    »Bring sie einfach zu deinen Eltern. Oder zu den Nachbarinnen.«
    »Das … das …« Melanie sah ihn nicht an, sie sah auf ihre Schuhe hinunter.
    »Ich weiß, Intensivstationen sind nicht dein Ding. Aber ich bitte dich inständig darum.« Müller drehte sich um und lief zum Wagen zurück. Dabei ging ihm die Szene durch den Kopf, wie sie ihm seine Mutter haltlos schluchzend geschildert hatte.
    »Weißt du, er sitzt vor dem Schreibtisch und liest, und alles ist wie immer. Und plötzlich fällt sein Kopf zur Seite, und der Stuhl rollt zurück. Und dann fällt er runter, einfach so. Und ich schreie …« Er dachte wütend und unkontrolliert: Scheiße! Er fuhr zurück ins Amt und entdeckte beim Aussteigen in der Tiefgarage, dass der Blumenstrauß, den er für Melanie gekauft hatte, noch im Wagen lag. Er nahm ihn und versenkte ihn in einer Abfalltonne.
    Im Büro packte er zusätzlich einen leichten Leinenanzug in den Koffer, von dem Melanie nicht einmal wusste, dass es ihn gab. Dazu ein paar einfache Leinenslipper. Zu solchen Kleidungsstücken hatte man ihm geraten, als er sich auf den Nahen Osten konzentrierte. Dazu kamen zwei Koffer voller Hämmer, Nägel und Bohreinsätze. Denn offiziell war Müller stets als Eisenwarenvertreter unterwegs.
    Anschließend ging er zu Krauses Büro, klopfte an und sagte: »Ich bin dann weg.«
    »Alles klar?«
    »Alles in Ordnung.«
    »Das ist gelogen, mein Junge. Ihr Vater liegt im Sterben, Ihre Ehe ist seit langer Zeit tiefgekühlt. Es kommt bald der Punkt, an dem wir reden müssen.«
    Das war typisch für Krause: sanft zu sprechen und zu lächeln, wenn er echte Probleme zur Sprache brachte. Und es konnte sein, dass er dabei nicht einmal den Kopf hob. Er war, weiß Gott, ein sehr gütiger und unerbittlicher Vater.
    Müller wollte augenblicklich wütend werden, wollte zischen: Was geht Sie meine Ehe an? Aber Krause hatte Recht, in seinem Beruf musste man den Kopf frei haben, und also antwortete er nach ein paar Sekunden: »Ja.«
     
     
     
     
    Er hatte im Transitbereich in Athen ganze dreißig Minuten Zeit, die er dazu nutzte, ein Wasser zu trinken und seine Mutter in Berlin anzurufen. Sie war mittlerweile nach Hause gefahren.
    »Hallo, Mama. Ich hocke hier auf dem Flughafen und warte auf einen Anschlussflug. Wie geht es Papa?«
    »Na ja, wie es nach einem Schlaganfall eben geht. Sie sagen mal, es wird alles gut, und mal, das wird nie mehr was. Stell dir vor, eine junge Krankenschwester hat gemeint: Sie müssen jetzt sehr viel Kraft haben. Stell dir das vor.«
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