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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO
Autoren: Peter Mayle
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Wandel begriffen, wir müssen mit der Zeit gehen, eine starke Hand am Ruder tut Not, die alte Leier.«
    »Charlie, das ist ja phantastisch. Herzlichen Glückwunsch.«
    »Also, was ist? Sitz nicht so faul herum. Komm her und hilf mir bei der Flasche Krug.«
    »Wo bist du denn?«
    »Einer meiner alten Kunden hat gerade ein Lokal an der Portobello Road aufgemacht. Pinot heißt es - toller Schuppen, tolle Weinkarte, und bumsvoll. Sämtliche Schönheiten von Notting Hill im durchsichtigen Fummel. Ich kann sie mir kaum noch vom Leibe halten.«
    Max lächelte, als er den Hörer auflegte und ins Schlafzimmer ging, um sich umzukleiden. Sie kannten sich aus der Schulzeit, und seither war Charlie stets ein Lichtblick gewesen, wenn es galt, jemanden aufzumuntern. Max schaute aus dem Fenster. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Seine Laune besserte sich, und als er die Treppe hinunterging, pfiff er vor sich hin.
    Auf dem Weg durch die Eingangshalle des Gebäudes blieb er stehen, um einen Blick auf die Post in seinem Briefkasten zu werfen. Nur der übliche Wust von Mahnungen, Rundschreiben und eine oder zwei Einladungen zu Dinnerparties, wie sie jedem Londoner Junggesellen ins Haus flattern; aber da war noch ein interessanter Umschlag mit einer französischen Briefmarke, der seine Aufmerksamkeit fesselte. Links oben, in der Ecke, befand sich ein Signet mit einer schmalen, stilisierten Skulptur der Göttin Justitia und in Druckschrift darunter der Name des Absenders: Cabinet Auzet, Notaires, Rue des Remparts, 84903 St. Pons. Max schickte sich an, ihn zu öffnen, doch dann beschloss er, die Lektüre für die langweilige U-Bahnfahrt aufzubewahren. Er steckte den Umschlag in die Tasche, stopfte seine restliche Post, die aus Drohbriefen und Erpressungsschreiben bestand, in den Briefkasten zurück und machte sich auf den Weg zur U-Bahnstation South Kensington.

 
ZWEI
     
    Während die U-Bahn von South Kensington nach Notting Hill ratterte, bot sich Max, eingezwängt im Menschenauflauf, die Gelegenheit, seine Bekanntschaft mit der Physiognomie der öffentlichen Verkehrsmittel wieder aufzufrischen. Fast alle um ihn herum schienen sich dem modernen Stammesritual des Piercing unterzogen zu haben. Durchbohrte Nasenlöcher, durchbohrte Augenbrauen, durchbohrte Lippen, durchbohrte Ohren und einige bleiche, wenngleich unverkennbar zur Schau gestellte durchbohrte Bauchnabel. Die sichtbaren Körperteile, die nicht gepierct waren, waren tätowiert. Eine Hand voll älterer Fahrgäste ohne Nasenschmuck oder Ohrgeschmeide wirkte daneben wie Relikte eines fernen, schmucklosen Zeitalters. Sie verbargen ihre Gesichter hinter Büchern oder Zeitungen und suchten den Blickkontakt mit den Angehörigen der gepiercten Generation, die ihnen auf die Pelle rückten, um jeden Preis zu vermeiden.
    Max Skinner quetschte sich in eine Ecke des schlingernden Abteils und holte den Brief aus der Tasche. Er las ihn ein Mal und dann ein zweites Mal, wobei sein eingerostetes Französisch nur schwer wieder in Gang kam. Er war so geistesabwesend, dass er um ein Haar die Station verpasst hätte, an der er aussteigen musste, und er war immer noch in Gedanken versunken, als er die dicken Rauchglastüren des Restaurants aufstieß.
    Der Krach im Pinot, das brechend voll war, schlug wie eine Welle über ihm zusammen. Der lange Raum mit der niedrigen Decke, dem harten minimalistischen Dekor und der hallenden Akustik wirkte wie ein gigantischer Verstärker, was der gängigen Theorie entsprach, ein hoher Lärmpegel sei unerlässlich, um das Essen zu genießen. Menschen mit romantischen Neigungen waren an einem solchen Ort dazu verdammt, der Angebeteten oder dem Mann ihrer Träume süße Nichtigkeiten ins Ohr zu brüllen. Aber dieses Restaurant war eindeutig in Mode, sämtliche Tische waren besetzt.
    Eine kurvenreiche junge Frau in einem hautengen Kleidungsstück, das an schwarze Klebefolie erinnerte, kam mit gekonntem Hüftschwung, hochgezogenen Brauen und klimpernden Wimpern auf Max zu. »Hatten Sie für heute Abend einen Tisch reserviert?«
    »Ich bin mit Mr. Willis verabredet.«
    »Oh, Charlie. Natürlich. Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
    »Bis ans Ende der Welt«, erwiderte Max. Die junge Frau kicherte und eilte mit jenem wiegenden Gang voraus, den außer den Luft- und Bodenkellnerinnen niemand nachzuahmen vermag, ohne sich die Hüfte zu verrenken.
    Charlie saß an einem Ecktisch, den Eiskübel in Reichweite. Er grinste, als er Max erspähte. »Aha, wie ich sehe, hast
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