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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse
Autoren: Ann Granger
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Es sind nur Jenny und ich hier, und wären wir zufällig gleichzeitig aus dem Haus gewesen, so hätte er keine Möglichkeit gehabt, vor unserer Rückkehr ins Haus zu gelangen. Es schien vernünftig zu sein, dass er imstande war, alleine ins Haus zu kommen. Wie dem auch sei, in der Regel war er rechtzeitig zum Abendessen zurück. Doch heute Abend kam er nicht nach unten. Ich dachte, dass er vielleicht eingeschlafen war, und schickte Jenny an seine Tür klopfen. Ich meine, die Tür zu seinem Wohnzimmer. Er antwortete nicht, und sie öffnete die Tür, um nachzusehen, und da sah sie ihn …«
    Sie verschränkte die im Schoß gefalteten Hände fester. »Sie kam kreischend die Treppe herunter und erklärte, Mr. Tapley wäre ermordet worden. Natürlich habe ich sie ermahnt, sich nicht so töricht zu benehmen, wie sollte so etwas auch möglich sein? Wer sollte so eine friedfertige Person umbringen, und ausgerechnet hier? Ich rannte selbst nach oben, um nachzusehen, und musste feststellen, dass Jenny Recht hatte. Es war ein furchtbarer Anblick.« Die Witwe schauderte. »Niemand bringt mich dazu, mir noch einmal seinen Leichnam anzusehen, nicht einmal, wenn die Polizei es verlangt!«
    »Ich denke nicht, dass sie das tun wird«, sagte ich. »Nicht, wenn Sie der Polizei versichern, dass es ganz sicher Mr. Tapleys Leiche ist.«
    »Oh, aber sicher!«, beharrte sie. »Sein Gesicht war der Tür zugewandt. Seine Gesichtszüge, verstehen Sie, waren nicht so – lädiert. Es ist sein Hinterkopf …«
    Sie schlug die Hand vor das Gesicht.
    »Versuchen Sie nicht so sehr an die Einzelheiten zu denken«, drängte ich. »Erzählen Sie mir nur, was dann passiert ist.«
    »Oh, natürlich. Ich wusste, dass ich sofort handeln musste!« Ihr Tonfall wurde lebhafter. »Es erschien sinnlos, nach einem Arzt zu rufen. Also schickte ich Jenny, um Ihren Ehemann zu holen, Mrs. Ross. Ich dachte, dass er zu dieser Zeit wohl zu Hause sein würde. Ich bin so froh, dass er da war und dass er so schnell gekommen ist.«
    Ich überdachte kurz das Gehörte. Die Ermittlung des Todeszeitpunktes war von entscheidender Bedeutung. Möglicherweise konnte der von der Polizei bestellte Arzt etwas dazu sagen. Andererseits war Tapley ein unauffälliger Untermieter gewesen, der das Haus nahezu unbemerkt betreten und verlassen hatte. War er überhaupt wie üblich draußen gewesen für seinen Spaziergang? Seine Wirtin hatte ihn im Tagesverlauf nicht zu Gesicht bekommen. Bessie und ich waren ihm am vorangegangenen Tag begegnet. Doch hatte ihn irgendjemand heute gesehen? Was hatte er tagsüber normalerweise gemacht, nach dem Aufstehen und dem Frühstück, bevor er am Abend wieder zum Essen am Tisch der Witwe Jameson erschienen war? Hatte er die Stunden damit verbracht, durch London zu spazieren? Oder hatte er die Zeit in verschiedenen Cafés, Restaurants oder Lesesälen totgeschlagen, Museen besucht oder einfach nur im Park gesessen? War er nach seinem Spaziergang ins Haus zurückgeschlüpft und hatte den Rest des Tages ungestört in seinen beiden Zimmern verbracht?
    Mit einem Mal kam mir ein schrecklicher Gedanke. Thomas Tapley hatte einen Haustürschlüssel gehabt. Hatte er sich irgendwo in der Stadt mit seinem Mörder getroffen und ihn zu sich nach Hause mitgenommen? Hatte das Opfer – nichts von der drohenden Gefahr ahnend – dem Mörder womöglich mit seinem eigenen Schlüssel Zutritt verschafft?
    »Können Sie mir sagen …«, setzte ich an und verbesserte mich sogleich. »Ich wollte sagen, die Polizei wird bestimmt alles wissen wollen, was Sie ihr über Mr. Tapley erzählen können. Beispielsweise, wie er Ihr Untermieter wurde. Hatten Sie eine Anzeige aufgegeben? Konnte er Referenzen vorweisen?«
    »Alles?« Mrs. Jameson blickte erschrocken drein. »Aber ich weiß doch so gut wie gar nichts über ihn! O meine Liebe, das hört sich vermutlich befremdlich an, schließlich habe ich ihn in mein Haus gelassen, obwohl ich nichts über ihn wusste … doch er war ein so freundlicher, stiller und vergnügter Gentleman. Ich glaubte, ihm trauen zu können, auch was den Haustürschlüssel angeht. Selbstverständlich werde ich der Polizei alles sagen, was ich weiß.«
    In diesem Augenblick läutete die Uhr auf dem Kaminsims, und wir zuckten beide zusammen.
    Mrs. Jameson atmete tief durch. Ich denke, das Reden half ihr, denn es war, als wäre plötzlich ein Damm gebrochen, und die Worte sprudelten aus ihr hervor.

KAPITEL DREI
    Patience Jameson
    »Wie ich bereits
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