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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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plötzlich entstandenes Loch, flutete von unten, von der Straße, die lateinamerikanische Musik herein, die Alik so haßte. Schon die zweite Woche wurde das ganze Viertel von sechs Indios gemartert, die ausgerechnet die Ecke unter Aliks Fenstern zu ihrem Stammplatz erkoren hatten.
    »Kann man denen nicht irgendwie das Maul stopfen?« fragte Alik leise.
    »Dich zustopfen ist leichter«, erwiderte Valentina und stülpte Alik Kopfhörer über.
    Joyka sah Valentina beleidigt und verständnislos an. Diesmal war sie auch noch für Dante gekränkt.
    Valentina legte für Alik Joplins Ragtime auf. Diese Musik hatte er ihr während ihrer heimlichen Rendezvous und nächtlichen Streifzüge durch die Stadt nahegebracht.
    »Danke, Häschen«, sagte Alik und bewegte die Wimpern.
    Er nannte sie alle Häschen und Kätzchen. Die meisten von ihnen waren mit zwanzig Kilo Gepäck und zwanzig englischen Vokabeln obendrauf angekommen und hatten für diesen Umzug Hunderte von großen und kleinen Trennungen vollzogen: von den Eltern, von ihrem Beruf, von ihrem Haus und ihrer Straße, von der Luft und dem Wasser, und schließlich, was ihnen erst ganz langsam bewußt wurde, von ihrer Sprache, die mit den Jahren immer instrumentaler und pragmatischer wurde. Auch die neue, amerikanische Sprache, die sie sich nach und nach aneigneten, war primitiv und pragmatisch, und sie benutzten ihren eigenen Jargon, bewußt verstümmelt und komisch. In diesem Emigrantenslang vermengten sich Russisch, Englisch und Jiddisch, ausgesuchte Obszönitäten und der Tonfall jüdischer Anekdoten.
    »Mein lieber Gott«, alberte Valentina, »das ist sich doch ein meschuggener Alptraum und keine Musik! Mach doch schon das Fenster zu, Engelchen, ich fleh dich an. Was mögen die sich denn bloß denken, anstatt sie gehen was essen und trinken und haben vollen fun und gute mood? Sie machen eine solche Krach, daß wir haben von ihnen nur headache.«
    Die beleidigte Joyka ließ das rote Büchlein des Florentiner Emigranten auf dem Bett liegen und ging nach Hause, in den Nachbaraufgang. Natascha mit dem kleinen Mund kochte in der Küche Kaffee. Valentina drehte Alik auf die Seite und rieb ihm den Rücken ein. Wundgelegen hatte er sich bisher nicht. Den Katheter schlossen sie nicht mehr an; Aliks Haut brannte von den Pflastern. Inzwischen hatte sich ein ganzer Haufen nasser Laken angesammelt, Faina packte sie ein und ging damit in die Wäscherei an der Ecke. Nina schlief in einem Sessel im Atelier, ihr Glas fest umklammert.
    Libin werkelte erfolglos an der Klimaanlage herum. Ihm fehlte eine Befestigungsleiste, und er versuchte, nach vertrauter russischer Art, aus zwei zu langen eine kurze zu machen, und zwar ohne Werkzeug, denn das hatte er zu Hause vergessen.

4
    D ie ganz langsam weichende Sonne rollte endlich wie eine große Münze unters Sofa, und binnen fünf Minuten war Nacht. Alle gingen auseinander, und zum erstenmal in dieser Woche war Nina mit ihrem Mann allein. Jedesmal, wenn sie ihn ansah, erschrak sie von neuem. Ein paar Stunden Schlaf, verstärkt durch Alkohol, brachten ihrer Seele Ruhe: Im Schlaf verdrängte sie gänzlich und voller Wonne die seltene, eigenartige Krankheit, die Alik befallen hatte und ihn mit aller Macht schrumpfen ließ; und wenn sie aufwachte, hoffte sie jedesmal, der Fluch wäre von Alik gewichen, er würde ihr entgegenkommen und wie immer sagen:
    »Häschen, was machst du denn da?«
    Doch nichts dergleichen geschah.
    Sie ging zu ihm hinein und legte sich neben ihn, das Haar über seine eckige Schulter breitend. Er schien zu schlafen. Sein Atem ging schwer. Sie lauschte. Ohne die Augen zu öffnen, sagte er:
    »Wann hört diese verfluchte Hitze endlich auf?«
    Sie sprang auf und rannte in die Ecke, wo Libin Marja Ignatjewnas gesammelte Werke in sieben Flaschen aufgereiht hatte. Sie nahm die kleinste, schraubte den Verschluß auf und hielt Alik die Flasche unter die Nase. Es roch nach Salmiak.
    »Besser? Besser, ja?« forderte Nina unverzüglich Antwort.
    »Ja, doch«, stimmte er zu.
    Sie legte sich wieder neben ihn, drehte seinen Kopf zu sich herum und flüsterte ihm ins Ohr:
    »Alik, ich bitte dich, tu es für mich.«
    »Was?« Er verstand nicht oder tat, als verstünde er nicht.
    »Laß dich taufen, und alles wird gut, und die Behandlung hilft dann auch.« Sie nahm seine erschlaffte Hand in beide Hände und küßte sanft den sommersprossigen Handrücken. »Und du mußt keine Angst haben.«
    »Ich hab auch so keine Angst, Kleines.«
    Sie
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