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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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günstig erwies. Bis heute zahlte Alik eine geradezu lächerliche Miete. Im übrigen zahlte nicht er. Geld hatte er schon lange nicht mehr, auch keine noch so lächerliche Summe.
    Die Aufzugstür klappte. Fima Gruber kam herein und zog sich dabei ein derbes hellblaues Hemd vom Leib. Die nackten Frauen beachteten ihn nicht, und auch er zuckte nicht mit der Wimper. Er hatte eine Arzttasche bei sich, uralt, ein Erbstück von seinem Großvater, noch aus Charkow. Fima war Arzt in dritter Generation, vielseitig gebildet und originell, aber es ging ihm nicht gerade glänzend: Er hatte die erforderlichen amerikanischen Prüfungen noch nicht abgelegt und arbeitete vorübergehend – bereits das fünfte Jahr – als eine Art hochqualifizierter Assistent in einer teuren Klinik. Er kam jeden Tag her, als hoffe er, doch noch Glück zu haben und etwas für Alik tun zu können. Er beugte sich zu Alik hinunter.
    »Wie geht’s, Alter?«
    »Ach, du . . . Bringst du den Fahrplan?«
    »Was für einen Fahrplan?« fragte Fima erstaunt.
    »Für die Fähre«, antwortete Alik mit einem schwachen Lächeln.
    Es geht zu Ende, dachte Fima. Das Bewußtsein trübt sich schon.
    Er ging in die Küche und kramte geräuschvoll im Eisfach des Kühlschranks.
    Idioten, was sind das alles für Idioten. Ich hasse sie, dachte T-Shirt. Sie hatte vor kurzem die griechische Mythologie durchgenommen und ahnte als einzige, daß Alik nicht die South Ferry meinte. Mit bösem, hochmütigem Gesicht ging sie zum Fenster, bog die Jalousie ein Stück hoch und sah hinunter. Dort war immer was los.
    Alik war der erste Erwachsene, den sie nicht ignorierte. Wie viele amerikanische Kinder war sie ihre ganze Kindheit von einem Psychologen zum anderen geschleppt worden, und das nicht ohne Grund. Sie sprach nur mit Kindern, machte lediglich für ihre Mutter äußerst widerwillig eine Ausnahme, andere Erwachsene existierten für sie einfach nicht. Die Lehrer nahmen ihre Antworten in schriftlicher Form entgegen; sie waren immer exakt und lakonisch. Die Lehrer gaben ihr die besten Zensuren und zuckten die Achseln. Psychologen und Psychoanalytiker entwickelten komplizierte und höchst phantastische Hypothesen über das Wesen ihres sonderbaren Verhaltens. Sie mochten Kinder, die nicht der Norm entsprachen – davon lebten sie schließlich.
    Kennengelernt hatten sich Alik und T-Shirt auf einer Vernissage, wohin die Mutter ihre linkische Tochter mitgeschleppt hatte. Sie waren damals gerade aus Kalifornien nach New York gezogen, und T-Shirt, die alle ihre Freunde mit einem Schlag verloren hatte, war bereit mitzukommen. Alik und ihre Mutter kannten sich aus ihrer Zirkuszeit, noch aus Moskau, hatten sich aber in Amerika seit Jahren nicht gesehen. So lange, daß Irina schon nicht mehr darüber nachdachte, was sie zu ihm sagen würde, sollten sie sich je Wiedersehen. An dem Tag, als sie sich auf der Vernissage begegneten, griff er mit der linken Hand einen ihrer Jackettknöpfe mit den hühnerdicken Adlern, riß ihn mit einer abrupten Drehung ab, warf ihn hoch und fing ihn wieder auf. Dann öffnete er die Hand und blickte flüchtig auf den blitzenden Adler.
    »Na, dann muß ich es dir sagen.«
    Sein rechter Arm hing leblos herab. Mit dem linken zog er ihren tiefblonden, sorgfältig frisierten Kopf mit dem schwarzen, perlenbesetzten Seidenband an sich und flüsterte ihr ins Ohr:
    »Irina, ich werde bald sterben.«
    Sie hätte sich sagen können: Na und, stirb doch. Für mich bist du schon lange tot. Aber sie spürte, wie eine dünne, schmale Klinge ihr ganz langsam tief in die Brust drang, und ein heftiger Schmerz durchbohrte sie bis zur Wirbelsäule. Neben ihr stand ihre Tochter und sah sie mit großen Augen an.
    »Komm, wir gehen zu mir«, schlug Alik vor.
    »Ich bin mit meiner Tochter hier. Ich weiß nicht, ob sie Lust hat.« Irina sah T-Shirt an.
    Das Mädchen ging schon lange nirgendwo mehr mit ihr hin. Irina hatte sie mit Mühe überredet, zu dieser Ausstellung mitzukommen. Sie fragte die Tochter, vollkommen sicher, daß diese ablehnen würde:
    »Hast du Lust, mit zu meinem Bekannten ins Atelier zu gehen?«
    »Zu dem Rothaarigen? Ja.«
    Sie gingen hin. Seine Bilder, obwohl offenkundig erst vor kurzem gemalt, erinnerten sehr an seine früheren. Ein paar Tage später gingen sie noch einmal zu ihm, beinah zufällig – sie waren gerade in der Gegend. Irina wurde überraschend zu einer dringenden geschäftlichen Besprechung gerufen und ließ T-Shirt für etwa drei Stunden im Atelier, und
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