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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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als sie zurückkam, fand sie eine unglaubliche Szene vor: Die beiden kreischten aufeinander ein wie zwei zornige Vögel. Alik fuchtelte mit dem linken Arm herum – der rechte war schon verkrüppelt und gehorchte ihm kaum noch – und hüpfte federnd auf und ab.
    »Ist dir denn nie in den Sinn gekommen, daß nur die Asymmetrie zählt? Das ist der Dreh – und Angelpunkt! Symmetrie ist der Tod! Totaler Stillstand! Kurzschluß!«
    »Schrei nicht so!« rief T-Shirt, deren sämtliche Sommersprossen rot leuchteten, und ihr Akzent war dabei stärker als sonst. »Und wenn’s mir gefällt? Einfach gefällt! Warum müßt ihr immer, immer recht haben?«
    Alik ließ den Arm sinken.
    »Na weißt du. . .«
    Irina wäre beinah neben dem Lift in Ohnmacht gefallen. Alik hatte, ohne es zu ahnen, mit einem Schlag die sonderbare Form von Autismus zerstört, an der das Mädchen seit seinem fünften Lebensjahr litt. Eine alte böse Flamme flackerte in ihr auf, verlosch aber sofort wieder: Statt ihre Tochter von Psychiater zu Psychiater zu schleppen, sollte sie ihr vielleicht lieber die elementare menschliche Kommunikation ermöglichen, die ihr so fehlte.

2
    W ieder klappte die Aufzugstür. Nina erblickte eine neue Besucherin und rannte ihr entgegen, wobei sie sich einen schwarzen Kimono überzog.
    Eine kleine, enorm dicke Matrone setzte sich schnaufend in einen niedrigen Sessel und stellte eine prallgefüllte Einkaufstasche sorgsam zwischen ihre Knie. Sie war himbeerrot im Gesicht, dampfte, und ihre Wangen glänzten wie ein heißer Samowar.
    »Marja Ignatjewna! Ich warte seit zwei Tagen auf Sie!«
    Die Matrone saß auf der äußersten Sesselkante, die rosigen Beine gespreizt. Sie trug Füßlinge – etwas, das es auf diesem Kontinent eigentlich gar nicht gab.
    »Ich vergesse euch nicht, Ninotschka. Ich arbeite die ganze Zeit mit Alik. Gestern habe ich ihn von sechs Uhr abends an besprochen . . .« Sie hielt Nina ihre dreckigen Finger mit den dystrophischen grünlichen Fingernägeln hin. »Glaub mir, das ist ganz schön anstrengend – mein Blutdruck, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Und dann diese verfluchte Hitze. Hier, ich hab den Rest mitgebracht.«
    Sie holte aus ihrer Stofftasche drei dunkle Flaschen mit einer zähen Flüssigkeit.
    »Da. Ich hab eine neue Einreibung gemacht und was zum Inhalieren. Das hier ist für die Beine. Du tauchst einen Lappen rein und legst ihm den auf die Füße, obendrauf eine Plastiktüte, und dann zubinden. Etwa zwei Stunden. Wenn die Haut abgeht, das macht nichts. Wenn du’s abnimmst, gleich abwaschen.«
    Nina blickte ehrfürchtig auf diese Vogelscheuche und ihre Mixturen. Sie nahm die Flaschen. Eine kleinere preßte sie an die Wange – sie war kühl. Sie trug alles ins Schlafzimmer, ließ die Jalousie herunter und stellte die Flaschen auf das schmale Fensterbrett. Dort stand bereits eine ganze Batterie.
    Marja Ignatjewna setzte inzwischen den Teekessel auf. Sie war der einzige Mensch, der bei dieser Hitze Tee trinken konnte, und zwar nicht amerikanisch, eiskalt, sondern russisch, heiß und mit Zucker und Konfitüre.
    Während Nina Alik Kompressen um die Beine wickelte und ihn mit einem leichten Laken zudeckte, dessen pseudoschottisches Karomuster keinem Clan zuzuordnen war, wobei sie ihr langes Haar schüttelte, das aussah, als sei die Vergoldung abgeblättert und habe tiefes Silber freigelegt, unterhielt sich Marja Ignatjewna mit Fima. Er interessierte sich für ihre Resultate. Sie sah ihn mit großmütiger Verachtung an.
    »Jefim Issakytsch! Fimotschka! Was für Resultate! Es riecht doch schon nach Erde! Trotzdem, alles ist in Gottes Hand, das sage ich Ihnen. Ich hab schon vieles gesehn. Da liegt einer im Sterben, ist schon beinah hinüber, aber nein, Er läßt ihn nicht. Die Kräuter, die haben eine Kraft! Die sprengten jeden Stein. Besonders ihre Spitzen. Und genau die nehme ich, die Spitzen, und von den Wurzeln auch die Spitzen. Manchmal, da neigt einer sich schon ganz zur Erde, und auf einmal, da richtet er sich wieder auf. An Gott muß man glauben, Fima. Ohne Gott wächst nicht das kleinste Kraut!«
    »Das ist wahr«, stimmte Fima ihr bereitwillig zu und rieb sich die linke Wange, die zerklüftet war von den Spuren jugendlicher Hormonkämpfe.
    Die positive Phototaxis der Pflanzen, über die das dicke Weib mit dem weichen Stoffpuppengesicht verschwommen und geheimnisvoll orakelte, kannte er aus dem Botanikunterricht der fünften Klasse, aber da er immerhin Fachmann war, wußte er
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