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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Künstlermilieu zu stammen. Ein schwarzer Greis kam ihm bekannt vor, das war ein berühmter Saxophonist, an den Namen konnte er sich nicht erinnern, aber das Gesicht hatte er im Fernsehen oder auf Titelblättern von Illustrierten schon gesehen. Sogar ein paar Indios waren da. Auch unter den weißen Gästen herrschte totales Durcheinander: ehrbare jüdische Paare, elegante Angelsachsen, reiche Galeristen und Russen unterschiedlichster Couleur, anständige ebenso wie Schnorrer, die obendrein angetrunken waren. Robins war Amerikaner in der vierten Generation; seine Vorfahren stammten aus Rußland, aber mit der russischen Sprache war ihm auch die romantische Liebe zu dem gefährlichen Land und dessen ungezähmtem Volk abhanden gekommen.
    Ein komischer Klient, dachte er. Bestimmt Musiker.
    Er ging sogar vom Büro hinüber in die Halle, um einen Blick auf den ungewöhnlichen Toten zu werfen.
    Punkt drei kam Nina herein. Alle hielten den Atem an. Unter einem schwarzen Seidenhut mit breitem schwarzen Schleier fiel ihr zu beiden Seiten ihr berühmtes Haar auf die Schultern, Gold mit Silber. Über einem kurzen schwarzen Kleid trug sie einen durchsichtigen, bodenlangen Tüllmantel, ebenfalls schwarz, dazu altmodische Schuhe mit hoher Plateausohle und riesigen Keilabsätzen.
    Ein Galerist stöhnte und flüsterte seinem Freund ins Ohr:
    »Das schulterfreie Mieder von Worth ist die beste Idee in der Modegeschichte aller Zeiten. Einzigartig. Alik hatte einen umwerfenden Geschmack. Wenn er Modeschöpfer gewesen wäre, dann hätten wir keinen Durchschnittsmaler, sondern einen genialen Designer.«
    »Ein tolles Model«, lobte der andere. »Sie ist mir schon vor drei Jahren aufgefallen.«
    »Zu alt«, erwiderte der erste bedauernd.
    Fima, in einem hellblauen Hemd mit symmetrischen Flecken unter den Achseln und mit Sandalen an den nackten Füßen, führte Nina, hin – und hergerissen zwischen heftigem Mitleid mit der Ärmsten und tiefem Abscheu gegen die Rolle, die er hier spielen mußte, obwohl ihm Laientheater gar nicht lag. Zudem hatte er in diesen zwei Tagen viel Scheiße fressen müssen, um das Geld für die Beerdigung zusammenzubringen.
    Nina ging als »schwarze Braut«, als »Sati«, als indische Witwe auf dem Weg zum Scheiterhaufen. Seit Aliks Tod wußte sie nur zwei Dinge: Alik war wieder gesund, und er war nicht mehr da. Diese Dinge wären für ein normales menschliches Bewußtsein unvereinbar gewesen. Doch in ihrem kleinen Kopf, der feierlich auf ihrem schlanken Hals saß, war seit langem etwas verschoben; wie das Muster in einem Kaleidoskop sich bei einer leichten Drehung verändert, war nun alles neu angeordnet, beruhigend vereinzelt, ohne einander zu stören.
    Die Worte »Tod«, »gestorben«, »Beerdigung« ertönten in ihrer Umgebung in den letzten Tagen ständig, drangen aber nicht durch ihren unsichtbaren Panzer; für sie war einfach kein Platz in dem Muster, das sich in ihrem Bewußtsein gebildet hatte.
    Jetzt war sie hier. Das hatte mit Alik zu tun. Alik mochte es, wenn sie schön angezogen war. Sie hatte sich sorgfältig zurechtgemacht und ihre Garderobe für ihn ausgesucht.
    Sie ging durch die Menschenmenge, ohne jemanden zu erkennen. Mit der linken Hand preßte sie eine schwarze Lackledertasche, die aussah wie ein dreischichtiger Kringel, an ihre Brust, in der rechten trug sie dickstengelige Lilien, deren stolze weißgrüne Köpfe hinter dem Saum ihres durchsichtigen Mantels herschleiften.
    Die Menschen machten ihr Platz, und die Saaltür öffnete sich genau in dem Augenblick, als Nina sie fast erreicht hatte. Ohne ihre Schritte zu verlangsamen, betrat sie den Saal. In einem breiten Keil folgten ihr die anderen. Sehr viele Menschen mit Blumen, viel mehr, als dieser Saal normalerweise faßte.
    An der Stirnseite stand der Katafalk, darauf eine große weiße Schachtel, deren Form an eine Eau-de-Cologne-Verpackung erinnerte. In der Schachtel lag eine wunderschön geschminkte Puppe, ein rothaariger Junge mit kleinem Gesicht und kleinem Schnauzbart.
    Ein Herr, der aussah wie ein bejahrter Fernsehansager, wollte gerade den Mund aufmachen, aber Nina ging wie durch ihn hindurch. Und obwohl er sichtlich ungehalten war, daß die extravagante Witwe ihn so respektlos weggeschoben hatte, trat er beiseite.
    Sie hob den Schleier, beugte sich hinunter, betrachtete eingehend die unpassende Skulptur aus dem sonderbaren, undefinierbaren Material und lächelte ein kleines, verstehendes Lächeln:
    Anstelle von Alik, dachte sie.
    Als
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