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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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gibt’s jede Menge Ärger, der Kaderleiter fliegt natürlich raus, das ist sicher. Vater ist in Rente, macht bestimmt irgendwelche Geschäfte, der wird sich schon rauswinden. Und Mama, die Gute, die wird sich nur freuen, ich ruf sie gleich morgen an. Ich werd sagen, daß alles glattgegangen ist, sie braucht sich keine Sorgen zu machen.
    In New York rief Irina bei Perare an, dem Zirkusmanager, der versprochen hatte, ihr zu helfen. Er war nicht zu Hause. Wie sie dann erfuhr, war er gar nicht in der Stadt. Er hatte einfach vergessen, Irina von seiner Abreise zu informieren. Zufällig hatte sie noch eine Telefonnummer bei sich, die von Ray, einem Clown, den sie drei Jahre zuvor bei einem Zirkusfestival in Prag kennengelernt hatte. Er war zu Hause. Mit einiger Mühe erklärte sie ihm, wer sie war. Kein Zweifel, er erinnerte sich nicht an sie, lud sie aber trotzdem zu sich ein.
    Ihre erste Nacht in New York verging wie im Fieber. Ray lebte in einer winzigen Wohnung in Village zusammen mit seinem Freund. Der öffnete auch die Tür, ein schlanker junger Mann in einem Frauenbadeanzug. Die beiden waren großartig und halfen ihr sofort. Später bekannte Ray, daß er sich partout nicht an sie erinnern könne und nicht sicher sei, ob er überhaupt je in Prag gewesen war.
    Da Butan, das war der Name oder Spitzname von Rays Freund, seit fünf Jahren als illegaler Immigrant in Amerika lebte, kam Irinas wahnwitziger Schritt den beiden gar nicht so wahnwitzig vor. Sie waren gerade ohne Geld und ohne Engagement und grübelten, wie sie die Miete aufbringen sollten. Die bezahlten sie am nächsten Morgen mit Irinas Dollars und fuhren dann mit ihr zusammen Geld verdienen. Das Geldverdienen fand im Central Park statt, und sie erklärten, Irina bringe ihnen Glück.
    Die ersten paar Tage verrenkte sie auf einem kleinen Teppich mit akrobatischen Kunststückchen die Glieder, dann nähte sie fünf Stoffpuppen, zog sie sich auf Hände, Füße und Kopf, und von da ab lief ihr Geschäft. Irina schlief bescheiden auf drei Sofakissen im Zimmer neben den beiden, ohne deren sexuelle Freiheit zu beeinträchtigen. Nach einer Weile machte Butan bei ihr Annäherungsversuche, worüber Ray sich ziemlich aufregte. Ihr Dreierbund hing an einem seidenen Faden. Irina ging noch mit den beiden zusammen Geld verdienen, aber ihr war klar, daß sie sich dringend einen anderen Lebensunterhalt suchen mußte. Doch die beiden waren wunderbar, und Irina fand es nun gar nicht mehr so schlimm, daß sie so Hals über Kopf abgehauen war, denn offenbar lebte halb Amerika so wie sie.
    An einem Tag im August führte sie ihre Nummer vor dem Eingang des kleinen Zoos im Central Park vor und lag plötzlich in den Armen von Alik, der schon zwanzig Minuten lang die fröhliche Arbeit ihrer muskulösen Arme und Beine beobachtet hatte.
    Nach weiteren zwanzig Minuten betrat sie seinen Loft, der damals noch ohne Zwischenwände war. Alik lebte schon seit zwei Jahren in Amerika, arbeitete viel und verkaufte sich gut. Er war heiter und unabhängig, sein Leben als Emigrant lief gut. Er betrachtete Irina, das flinke kleine Tierchen mit dem menschlichen, verwegenen Gesicht, und er erkannte, daß sie genau das war, was ihm fehlte.
    Seit sie sich getrennt hatten, waren sieben Jahre vergangen. Das erschien ihnen jetzt als verlorene Zeit, und sie bemühten sich, versäumte Worte, Gesten und Taten so schnell wie möglich nachzuholen. Die vierundzwanzig Stunden am Tag reichten ihnen nicht. Alles war wie aus Glas und durchsichtig. Sie spürten keinen Boden unter den Füßen.
    Eines Nachts fanden sie auf dem Heimweg einen weißen Teppich, weggeworfen aus einem reichen Haus, und schleppten ihn mühevoll ins Atelier. Auf diesem Teppich saß Irina in der für sie ganz natürlichen Lotos-Pose, vor sich ein Lehrbuch für englische Grammatik. Es war Aliks Idee, mit der Grammatik anzufangen. Die paukte Irina nun. Und er malte seine Granatäpfel. Das ganze Haus war voll davon: überall rosa, braune, purpurrote, vertrocknete, angefaulte und auseinandergebrochene Granatäpfel und ausgepreßte leere Hüllen.
    Granatäpfel gab es auf seinen Bildern aus dieser Zeit einzeln, paarweise und in kleinen Gruppen; sie tauschten die Plätze und wechselten ihre Position. Es schien, als müsse er durch diese einfachen Manipulationen jeden Moment etwas völlig Neues entdecken, etwa eine unbekannte Zahl im Bereich der allbekannten Zahlenreihe, zum Beispiel zwischen sieben und acht.
    Achtundachtzig Tage wohnte Irina in diesem
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