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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Nina eine Spritze, sie schlief ein und schlief durch bis zum Morgen, auf demselben orangegelben Laken, auf dem ihr Mann gelegen hatte. Seltsam, sie fragte gar nicht, wo er war. Bis sie einschlief, lächelte sie nur ab und zu zärtlich und sagte:
    »Nie hört ihr auf mich, ich hab doch gesagt, er wird wieder gesund.«
    Immer neue Besucher kamen. Viele wußten noch nichts von Aliks Tod, sie kamen einfach so vorbei. Er hatte viele Bekannte, nicht nur in der russisch-jüdischen Kolonie der Riesenstadt. Es kam ein italienischer Sänger, mit dem Alik sich vor Jahren in Rom angefreundet hatte. Der Besitzer des Cafes gegenüber brachte tatsächlich einen Scheck. Libin sammelte nach alter russischer Sitte Geld. Es kamen Besucher aus Moskau, einer mit einem Brief für Alik, ein anderer erklärte, er sei ein alter Freund von ihm. Es kamen Leute von der Straße, die niemand kannte. Und Anrufe – aus Paris, aus Jaroslawl. . .
    Als Vater Viktor erfuhr, daß Nina Alik vor seinem Tod getauft hatte, seufzte er, schüttelte den Kopf und sagte dann:
    »Es ist alles Gottes Wille.«
    Was sollte der ehrliche rechtgläubige Mann auch sagen?
    Am Tag vor der Beerdigung holte er Nina in seinem uralten Auto ab, fuhr mit ihr in die leere Kirche – an diesem Tag war kein Gottesdienst – und las eine Totenmesse für einen Abwesenden, der auch sozusagen in Abwesenheit getauft worden war. Mit volltönender tiefer Stimme sang er die schönsten Worte, die für diesen Anlaß erdacht worden waren. Nina strahlte Freude und engelhafte Schönheit aus, und Valentina, die mit einer Kerze hinter ihr stand, in einer vom Deckenfenster einfallenden staubigen Lichtsäule, vergab sich selbst die Sünde ihrer Liebe zum Ehemann einer anderen.
    Als in dem staubigen, menschenleeren Raum das letzte Echo des Gesangs verstummt war, bekam Valentina von Vater Viktor ein quadratisches Päckchen mit Erde, ein weißes Band mit einem Gebet darauf und eine kleine Ikone aus Papier. Als Grabbeigabe.
    Dann faßte Valentina die schwankende Nina unter und stieg mit ihr in ein Taxi. Beim Einsteigen in die gelbe Klapperkiste beugte Nina hoheitsvoll ihren kleinen Kopf und rückte die Schultern zurecht, als wäre sie in einem Rolls-Royce auf dem Weg zu einem Empfang im Buckingham-Palast.
    Valentina seufzte. Nun hab ich das arme Vögelchen am Hals. Mein Gott, hab ich sie wirklich so viele Jahre gehaßt?

19
    D ie Betreiber des Bestattungsunternehmens, die Robins hießen, im vorigen Jahrhundert noch Rabinowitsch, hatten die wohlbekannte jüdische Unbeugsamkeit so weit erschüttert, daß ihr Unternehmen nun von einer humanen und kommerziell gerechtfertigten ökumenischen Toleranz getragen wurde; aus der einstigen »Jüdischen Bestattungsgesellschaft« wurde im Laufe der letzten fünfzig Jahre ein schlichtes »Bestattungshaus« mit vier getrennten Sälen für Zeremonien aller religiöser Konfessionen und für die ausgefallensten Kuriositäten. Erst in der letzten Woche mußte Mister Robins in einem Saal eine Leinwand installieren, um, wie es der Verstorbene verfügt hatte, in Gegenwart des aufgebahrten Toten den Freunden und Verwandten unmittelbar vor der Beisetzung einen dreistündigen Film über dessen Tourneen vorzuführen. Er war Steptänzer gewesen.
    Das Szenarium für Aliks Bestattung war relativ bescheiden: keine religiöse Zeremonie, keine Grabplatte – dabei betrieben die Robins eine anständige Steinmetzwerkstatt. Aber die Klienten hatten eine Grabstelle im jüdischen Teil bezahlt, dem teuersten des Friedhofs. Allerdings in scheußlicher Lage, direkt an der Mauer, ein Stück abseits vom Weg.
    Die Zeremonie war für drei Uhr nachmittags angesetzt, und zehn vor drei war das Foyer vor der Halle voll. Der jetzige Robins, der vierte Besitzer des stabilen, krisensicheren Geschäfts, ein schöner Greis von levantinischem Äußeren, war verwirrt. Er meinte am Charakter der Trauergemeinde alles über seinen Klienten ablesen zu können. Dieses psychologische Spiel betrachtete er als eine der reizvollsten Seiten seines Berufs. Aber diesmal hatte er nicht nur Probleme, die Vermögenslage des Klienten auf Anhieb einzuschätzen, er war sich nicht einmal sicher, welcher Nationalität dieser war, obwohl doch der Wunsch der Angehörigen, ihn im jüdischen Teil des Friedhofs beizusetzen, ein eindeutiges Indiz dafür hätte sein sollen.
    Unter den Anwesenden waren Schwarze, was bei jüdischen Beerdigungen äußerst selten vorkam. Allerdings schienen sie, ihrer Kleidung nach zu urteilen, aus dem
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