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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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fragte Valentina Libin.
    »Siehst du doch, die hat Ljowa angeschleppt.«
    Sie sollten nie erfahren, daß Rabbi Menasche auf diese Weise für das »gefangene Kind« gesorgt hatte.
    Valentina kamen die Juden verdächtig dekorativ vor, womöglich waren es Schauspieler aus einem kleinen Theater in Brighton Beach.
    Das muß ich Alik fragen, dachte sie, und im selben Augenblick wurde ihr klar, daß es viele, sehr viele Dinge gab, die sie nun niemanden mehr fragen konnte.
    Sie sprachen drei Totengebete, das dauerte nicht lange. Dann traten die, die vorn standen, zurück vom Grab, die nächsten rückten vor, der Blumenberg wuchs, er reichte Nina schon bis zur Hüfte, doch sie ordnete noch immer Blume für Blume, streichelte sie, baute eine Art Haus oder Mausoleum daraus und lächelte auf eine Art, daß sie nun vielen vorkam wie eine gealterte Ophelia.
    Dann gingen alle; auch jetzt waren die Juden, die ihre weißen Gebetsmäntel abgestreift hatten und nun schwarze, in der Sonne glühende Anzüge trugen, fast die letzten, aber Nina wartete auf sie und bat sie, mitzukommen zur Totenfeier. Der älteste der Männer, der sich die Kipa mit einem Pflaster auf die Glatze geklebt hatte, hob seine knochigen Hände vors Gesicht, die gelben Finger gespreizt, und sagte bekümmert:
    »Kindchen! Juden setzen sich nach der Beerdigung nicht hin und essen. Sie setzen sich auf die Erde und fasten. Obwohl gegen ein Gläschen Wodka nichts einzuwenden ist.«
    In ihren dampfenden schwarzen Gewändern kletterten sie in einen Kleinbus mit einer blauen Inschrift auf weißem Grund: »Temple Zion«.

20
    T -Shirt und Joyka waren nicht mitgefahren zur Beerdigung, sondern zu Hause geblieben. T-Shirt hängte Bilder auf. Sie holte Aliks alte Bilder hervor, wischte den zweijährigen Staub ab und überlegte, was wo am besten aussah. Mit einem Schlag, wie bei einem sieben Tage alten Kätzchen, waren ihr die Augen aufgegangen, sie sah plötzlich: Das muß dahin, das daneben, das da ganz weg, das ein Stück höher. . . Sie brauchte nichts zu entscheiden, sie mußte nur hinsehen, die Bilder fügten sich von allein zu kluger und schöner Ordnung.
    Ich werde Kunstgeschichte studieren, beschloß sie sofort und vergaß dabei ganz, daß sie sich letzte Woche Tibet geweiht hatte.
    Sie mochte lieber kleine und mittelgroße Bilder, aber an die Stirnseite mußte unbedingt ein großes; sie rief Joyka und Ljuda zu Hilfe, und zusammen hängten sie ein drei Meter hohes Bild auf, das wohl schon fünf Jahre mit dem Gesicht zur Wand gestanden hatte. Das Bild war voll, allzu voll: ein Herbstfest – Birnen, Trauben und Granatäpfel, tanzende Frauen und Kinder, Krüge mit Wein, Berge in der Ferne und ein Mann, der unter ein Vordach trat.
    Ljuda schnitt Käse und Wurst auf und schnipselte Salate, Joyka verteilte träge und schläfrig überall Wegwerfgeschirr und russisch-jüdische, angeblich hausgemachte Speisen aus einem Emigrantenladen: Hering, Piroggen, Sülze und einen Salat, der bei den Russen »Olivier« heißt, bei allen anderen Völkern Kartoffelsalat.
    Sie kamen alle auf einmal zurück, die ganze Schar. Der Lastenaufzug mußte dreimal fahren. Etwa fünfzig Personen saßen an einem großen Tisch aus Brettern und Gerümpel, die übrigen liefen wie bei einer amerikanischen Party mit Gläsern und Papptellern durch die Wohnung. Erstaunlich, wie bei solchem Gedränge ein Gefühl der Leere aufkommen konnte.
    Auch die Galeristen aus Washington waren da. Sie liefen durchs Atelier wie durch eine Ausstellung und betrachteten die Bilder. Sie machten unzufriedene Gesichter, und nach zehn Minuten, es hatte noch niemand etwas getrunken, küßten sie Nina die Hand und verschwanden.
    Irina beobachtete sie mißmutig – ihr stand noch ein Prozeß gegen sie bevor. Egal, wie die Lage war, aber sie hatten Alik schließlich nichts gezahlt und ihm die Bilder nicht zurückgegeben.
    Faina erwies sich als der Kenner der Rituale, der sich bei jeder Hochzeit und bei jeder Beerdigung findet. Sie goß Wodka in ein Glas, deckte ein Stück Schwarzbrot darüber und stellte es auf einen Teller.
    »Für Alik.« So war es Brauch.
    Am Tisch setzte der übliche Tafellärm ein, nur ohne laute Gespräche, ohne laute Stimmen. Monotones Gemurmel und Gläserklappern. Wodka wurde eingegossen.
    An der Tür stand T-Shirt, blaß, mit geschwollenem Mund und roter, wunder Nase, in dem schwarzen T-Shirt mit dem orange-gelben Aufdruck. In der Hosentasche hielt sie schon eine ganze Weile die bewußte kleine Box umklammert,
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