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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Blödsinn. Das hab ich immer gewußt. Ich möchte auf euch trinken. Ninotschka, halt die Ohren steif! Auf dich, T-Shirt! Auf dich, Valentina! Joyka, auf dich! Einen Gruß an die Piroshkowa, ich liebe sie irrsinnig! Faina, danke, Häschen! Tolle Fotos hast du gemacht! Neletschka, Ljuda, Nataschka, ihr alle, auf euch! Männer, auf euch! Auf euer Wohl! Ja, was ich noch sagen wollte – ich will, daß es lustig wird. Das war‘s. Schluß, Sense.«
    Das Band drehte sich leise schleifend weiter, es waren keine Worte mehr darauf, nur noch heiseres Keuchen. Niemand trank. Alle standen schweigend mit dem Glas in der Hand und lauschten dem krampfhaften Luftholen, und hin und wieder drang auf das leere Band indianische Musik durchs offene Fenster. Alle lauschten angestrengt, als käme noch etwas Wichtiges. Und wirklich: Der Lift ruckte, die Tür klappte.
    »T-Shirt, mach den Recorder aus«, sagte Aliks Stimme, erschöpft und alltäglich, ohne jedes Pathos. Dann ein Knacken, und alles verstummte.
    Zuerst wurde es nichts mit der Fröhlichkeit. Es war irgendwie zu still. Alik hatte wie immer etwas Ungewöhnliches getan: Vor drei Tagen war er noch lebendig, dann war er tot, und nun war er etwas Drittes, Sonderbares, und darüber waren alle verstört und traurig, obwohl sie durchaus dem Alkohol zusprachen.
    Am Tisch war ein Kommen und Gehen, Teller und Gläser wurden von einer Ecke in die andere geschleppt, Gruppen bildeten sich und lösten sich wieder auf. Eine so bunt zusammengewürfelte Gesellschaft hatte die Welt noch nicht gesehen: Aliks Musikerfreunde waren gekommen und ein paar vereinzelte Gäste, die keiner kannte – unbegreiflich, wo Alik die wohl aufgegabelt hatte und woher sie von seinem Tod wußten. Die Paraguayer traten in geschlossener Phalanx auf, nur ihr Anführer hob sich ab mit seiner dunkelrosa Narbe und dem versteinerten schönen Gesicht. Ein kolumbianischer Professor unterhielt sich angeregt mit einem Müllfahrer. Berman liebäugelte mit Joyka, aber er hatte vor lauter Arbeit schon zwei Jahre keine Frau angerührt und war sich nicht sicher, ob er den Geist aus der Flasche lassen sollte. Dabei kannte er ein paar wesentliche Details über sie noch gar nicht, in die Alik aber eingeweiht war: daß ihre Mutter den altehrwürdigen, schon von Tacitus erwähnten römischen Familiennamen Colonna trug und daß Joyka noch Jungfrau war.
    Nina bat jemanden, den grauen Karton vom Hängeboden zu holen. Er enthielt einen rührenden Schatz, Vorjahren von Bekannten im diplomatischen Dienst nach Amerika geschmuggelt: der erste Jazz, zweimal durch den Eisernen Vorhang geschleust. Neben schweren schwarzen Scheiben auch ein paar selbstgemachte, aus alten Röntgenplatten, auf denen sogar noch Aufnahmen von Knochen zu erkennen waren. Außerdem die ersten braunen Tonbänder.
    Alik konnte richtig Tango tanzen, mit allen komplizierten Schritten, abrupten Stopps und tiefen Beugungen, die in den fünfziger Jahren folgerichtig in den Rock ’n’ Roll übergingen.
    Heute trat Libin an Aliks Stelle. Nina und er bewegten sich ruckartig, mit abrupten Wendungen, aber Libin fehlte das spielerisch Schmachtende, das die eigentliche Würze des Tangos ausmacht. Der schwarze Saxophonist flirtete mit der blonden Faina, und sie war sehr nervös, denn einerseits war sie Rassistin wie die meisten russischen Emigranten, andererseits hatte sie es hier mit einem zweifellos amerikanischen Produkt zu tun, das sie noch nicht probiert hatte.
    In der Wohnung verbreitete sich Ausgelassenheit. Wen das beleidigte, der ging. Auch Berman und Joyka gingen. Sie hatten jeder für sich eine Entscheidung getroffen, waren sich aber nicht sicher, ob es gutgehen würde. Joyka zitterte vor Angst, vor allem fürchtete sie, hysterisch zu werden. Aber es wurde sehr schön und wunderbar, und am nächsten Morgen wußten sie beide, daß sie nicht vergebens so lange allein gelebt hatten.
    Kurz nach zehn erschien der Vermieter zusammen mit dem verlegenen Claude. Der Vermieter, von Claude über Aliks Tod informiert, hatte ein paar Tage abgewartet und nun diesen passenden Moment gewählt, um Nina davon in Kenntnis zu setzen, daß sie die Wohnung zum nächsten Ersten räumen mußte.
    Als der Vermieter auf sie zukam, um ihr den Bescheid eigenhändig zu überreichen, hielt sie ihn für jemand anderen, küßte ihn und bat ihn auf russisch, sich ein Glas zu nehmen.
    Das offizielle Papier warf sie zerstreut auf den Tisch, von wo es sofort auf den Boden glitt. Nina dachte gar nicht daran, es
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