Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
Vom Netzwerk:
hob Nina hoch, nahm ihren durchnäßten Kimono vom Boden und legte ihn ihr um die Schultern. Sie fügte sich.
    »Er ist tot«, sagte Fima zum wiederholten Mal und hatte das Gefühl, als habe er sich schon gewöhnt an den neuen Zustand der Welt, ohne Alik.
    Nina sah ihn mit ihren durchsichtigen Augen aufmerksam an und lächelte. Sie wirkte müde und ein bißchen verschmitzt.
    »Alik ist wieder gesund, weißt du?«
    Er führte sie aus dem Schlafzimmer. Valentina brachte ihr ihren gewohnten Drink. Nina trank, lächelte mondän ins Leere und sagte:
    »Alik ist wieder gesund, wißt ihr? Er hat es mir selber gesagt.«
    Joyka gab einen Laut von sich, der wie ein Lachen klang, lief hinaus in die Küche und hielt sich den Mund zu. Jemand klingelte unten an der Haustür. Nina saß mit leuchtendem und verwirrtem Blick im Sessel und jagte mit ihrem Strohhalm das Eis im Glas.
    Die reinste Ophelia. Aber einen Selbstschutz wie ein guter Boxer: Sie will nichts wissen. Schon richtig, er kann sie gar nicht verlassen haben, sie lebt außerhalb der Realität, und er hat ihre Verrücktheit immer abgeschirmt. Ja, diese Verrücktheit hat ihre Logik. Irina konnte hier nichts mehr tun. Sie wollte so schnell wie möglich weg.
    Sie fuhr hinunter. T-Shirt wartete nicht vor der Tür. Irina hatte ihre Tochter aus den Augen verloren. Sie überquerte die Straße und ging ins Cafe gegenüber.
    Der schwarze Barkeeper sah ihr an, was los war, fragte: »Whiskey?« und stellte ihr sofort ein Glas hin.
    Ach, natürlich, ein Freund von Alik, erkannte Irina, wies auf das Haus gegenüber und sagte:
    »Alik ist gestorben.«
    Der Barkeeper wußte sofort, von wem die Rede war. Er rang die wohlgeformten Hände voller silberner Ringe, wobei seine zahlreichen Armreifen klirrten, verzog das dunkle jamaikanische Gesicht und sagte in der Sprache der Bibel:
    »Herr, warum nimmst du uns immer das Beste?«
    Dann goß er sich aus einer bauchigen Flasche etwas ein, kippte es hinunter und sagte zu Irina:
    »Hör mal, Mädchen, wie geht’s Nina? Ich möchte ihr Geld geben.«
    Schon lange hatte niemand mehr »Mädchen« zu ihr gesagt.
    Auf einmal durchfuhr es Irina siedendheiß: Es war, als habe Alik Rußland gar nicht verlassen! Er hat sich hier sein eigenes Rußland geschaffen. Das Rußland von damals existiert auch gar nicht mehr. Und wer weiß, ob es je existiert hat. Er war immer unbeschwert, verantwortungslos. So lebt man hier nicht. Nirgends lebt man so! Woher zum Teufel dieser Charme, mit dem er sogar mein Mädchen eingewickelt hat? Für niemanden hat er irgendwas Besonderes getan, im Gegenteil, alle reißen sich für ihn ein Bein aus. Nein, ich verstehe es nicht. Ich begreife es einfach nicht.
    Irina ging zum Telefonautomaten hinten im Cafe, schob ihre Karte ein und wählte eine lange Nummer. Bei Harris zu Hause schaltete sich der Anrufbeantworter ein, im Büro ging seine Sekretärin ran, die alte Kuh, und erklärte, er sei jetzt beschäftigt.
    »Bitte, es ist dringend«, sagte Irina und nannte ihren Namen.
    Harris nahm sofort ab.
    »Ich kann mich jetzt freimachen und zum Weekend zu dir kommen.«
    »Ruf an, wann ich dich abholen soll.« Seine Stimme klang sachlich, aber Irina wußte, daß er sich freute.
    Sein hageres rotes Gesicht, der ordentliche Schnurrbart, die pieksaubere, spiegelglatte Glatze. . . Das Sofa, ein Glas, eine Zitrone . . . elf Minuten Liebe, exakt, man konnte auf die Uhr sehen . . . Und das Gefühl totaler Geborgenheit, wenn sie ihren Kopf auf die breite, dicht behaarte Brust legte. Das war ernst, und sie mußte es zu Ende führen.

17
    D ie Vergangenheit war natürlich unabänderlich. Und was hätte Irina auch ändern sollen?
    Nach der letzten Vorstellung in Boston war sie, ohne noch einmal ins Hotel zu gehen, zum Flughafen gefahren. Sie kaufte ein Ticket und war zwei Stunden später in New York. Das war 1975. Nach dem Kauf des Tickets besaß sie noch ganze vierhundertdreißig Dollar, die sie in der Hosentasche aus Rußland mitgebracht hatte. Zum Glück, denn die Truppe hatte während des ganzen Gastspiels kein Geld in die Hand bekommen, das sollte erst am letzten Tag ausgezahlt werden, zum Einkaufen, aber so lange konnte sie nicht mehr warten.
    Sie saß im Flugzeug, sah immer wieder zur Uhr und wußte, Krach würde es erst am nächsten Morgen geben, nicht heute abend. Heute abend klappern die Chefs erst mal schwitzend das ganze schäbige Hotel ab, klopfen an alle Zimmer und fragen jeden, wann er Irina das letzte Mal gesehen hat. Und hinterher

Weitere Kostenlose Bücher