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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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schwimmt oder krabbelt, außer vielleicht Zebramuscheln) –, und sie kriegt immer, was sie will. Ich versuche, sie mir vorzustellen, wie sie damals war, Mitte Vierzig, und ich sehe als erstes ihre Augen – Augen, die einen packen und nicht wieder loslassen, heiß und hart und versengend wie zwei Fackeln. Und ihre Brüste. An die erinnere ich mich auch. Ich glaube, sie ist nie im Leben aus dem Haus gegangen, wenn sie nicht etwas anhatte, das an ihr klebte wie frischer Lack. Bis auf diesen Monat in der Sierra Nevada; da trug sie nichts als eine Schicht Dreck und Mückenstiche.
    Andrea. Ja, sicher, es wird Laune machen, sie wiederzusehen, auch wenn gar nichts passiert – und wie gesagt, ich bin noch nicht jenseits von Gut und Böse, was Sex angeht, noch nicht, und obwohl ich mich nicht mal ansatzweise sexuell betätigt habe, seit Lori gestorben ist, bei der Mucosaepidemie vor drei Jahren hier, denke ich dauernd daran. Ich sehe mir die Frauen an, die Macs Leibwächter anschleppen, und male mir aus, wie sie unter den Regenmänteln gebaut sein müssen, ich betrachte die langbeinigen Dinger in ihren Khakikleidern, die ihre Einkaufswagen durch die verlassenen Supermarktgänge schieben, wenn ich den Geländewagen nehme, um Trockenfutter zu holen und was sie gerade so an halbverfaulter Pflanzenkost dahaben, für den Brillenbären und die Nabelschweine. Sex. Eine feine Sache. Auch wenn ich es vermutlich kaum öfter als etwa einmal im Monat aushalten könnte, und selbst dann nur, wenn das ganze gefühlsduselige Drumherum – all das Händewringen und Naseputzen, die Betrügereien und Schreiduelle und die animalische Intimität, die um keinen Deut höher auf der Gefühlsskala steht als das Lecken, Schlecken und Sabbern der Hyänen – aus dem Vorgang strikt ausgeblendet bleibt.
    Liebe , hat sie gesagt. Aus Liebe . Und wider Willen, trotz allem, was ich erfahren und erlitten hatte, trotz der Narben ihrer Krallen auf meinem Rücken, fühle ich mich jenen fatalen Moment lang schwach werden, und da weiß ich, daß sie mich erwischt hat.
    Ich starre in Lilys Gehege, der gesamte Regen des Universums tropft mir von der Krempe dieses albernen gelben Hutes und meiner übergroßen, demütigend langen Altmännernase, als ein Ruf vom Wind über den Hof getragen wird. Es ist Chuy, beleuchtet von einem phantastischen Blitzschnörkel, der mich zurückwirft in meine Tage der Batikhemden, von LSD auf Löschblatt, von Stroboskoplichtern in Tanzschuppen und Jane, meiner ersten Frau und ersten Liebe, aber Chuy ist nicht Jane, er ist Chuy, der keinen Nachnamen hat, weil er sich nicht mehr darauf besinnen kann seit dem Unfall beim Unkrautsprühen, der ihm sein Haar, seine Männlichkeit und das halbe Hirn geraubt hat und ihn ständig herumzappeln läßt wie eine Kakerlake auf dem Insektengrill. Er schleppt irgendwas hinter sich her, einen eingerollten nassen Teppich oder alte Zeitungen, der Regen verdeckt ihn in breiten grauen Bahnen, die an die ausgeschütteten Wassereimer in den alten Stummfilmkomödien erinnern – frühe Spezialeffekte also.
    »Ist ein Hund«, sagt Chuy keuchend durch den Ozean der Luft, und es stimmt, genau das ist es, ein Hund. Zwei, drei Tage lang tot, der Bauch schon ein bißchen aufgetrieben, eine Collie-Schäfer-Mischung, hab ihn noch nie gesehen, wenigstens ist es nicht der Patagonische Fuchs, das hätte gerade noch gefehlt. »Hab ihn tot im Gebüsch gefunden, Mr. Ty, und ich denke mir, ist vielleicht was para Lily zum Fressen, nein?«
    Ich, nachdenklich, alt, knochig und regengepeitscht: »Vergiftet? Denn wenn er...«
    Chuy linst zu mir hinauf, mein ganz privates Aufbauprojekt, sein Blick ist leicht bekloppt, er hat weder den Unterkiefer noch die Zunge unter Kontrolle, jeder Nerv gebraten und noch immer brutzelnd. »Nicht vergiftet, Mr. Ty, ist überfahren worden«, und er hebt das Hinterteil des Viehs, zeigt mir die zermanschten Beine und das gebrochene Rückgrat.
    Gut so, das kommt gerade recht, ein richtiger Bonus, und während wir gemeinsam den klatschnassen Kadaver auf Schulterhöhe heben und dann über den Drahtzaun wuchten, hinter dem sich Lily, neugierig geworden, aus dem Schlamm hochrappelt, muß ich schon wieder an Andrea denken und daran, welches Hemd ich anziehen und ob ich mir ein Jackett antun soll. Ich stelle mir uns beide an der Bar von Swensons Kneipe vor, ihr unbezwingbarer Blick und die vollkommenen Brüste, sie hat sich nicht verändert, denn Veränderung ist undenkbar, Andrea mit dreiundvierzig,
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