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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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einfach umwerfend, eine Wucht, schau mir in die Augen, Kleiner, und dann schnappt sich Lily den Hund, und alles, was ich noch höre, ist das Krachen der Knochen.
    Die Löwen haben ihr Pferdefleisch gekriegt, und die Großen Ameisenbären (Myrmecophaga tridactyla) bearbeiten ein paar halbverrottete Balken voller Formosa-Termiten, vermutlich ein ordentliches Mittagsmahl, da verfalle ich endlich auf die kluge Idee, zurück ins Trockene zu gehen. Inzwischen – es muß so vier, halb fünf sein – hat der Regen ein wenig nachgelassen, und auch der Wind, der in letzter Zeit ständig mit den maximalen zehn Beaufort zu blasen scheint, ist wohl etwas abgeflaut. Etwa auf – wie würde man das bezeichnen – Hutwegblasstärke? Volles Programm, starker Tobak, dabei fing der Schlamassel erst an. Böig. Stürmisch. Nicht ganz Orkanstärke. Er zerrt an der Kapuze meines Regenmantels, klatscht mir das nasse Vinyl ins Gesicht, ein Satz warme Ohren, und meine Brille rutscht mir den Nasenrücken rauf und runter, als wäre sie eingefettet. Es herrscht totales Chaos, kein Zweifel, jeder Schritt eine Tretmine, die Büsche sind zerfetzt wie alte Segel, die Bäume mittendurch und dann noch einmal gebrochen. Aber was geht’s mich an? Das überlasse ich Macs Gärtnern und dem masochistischen Schnösel von Landschaftsgestalter, der unverdrossen immer wieder auftaucht, sobald der Regen nur eine Stunde lang nachläßt – aber so wie die Humusschicht mit dem frisch gesäten Gras davongespült wird, ist mir völlig klar, daß wir während der Trockenzeit mitten in einer Wüste leben werden. Falls sie jemals kommt.
    Als Teil meiner Abmachung mit Mac bewohne ich ein Zwei-Zimmer-Gästehaus am äußersten Rand seines Grundstücks, direkt an der Mauer von Rancho Seco, der eingezäunten Nobelsiedlung östlich von uns. Das Haus wurde in den Neunzigern mit allem modernen Komfort erbaut, und es ist eigentlich recht gemütlich, außer daß der Wind vor langem schon die Regenrinnen und drei Viertel der Schindeln heruntergerissen hat und daß der Kamin zugemauert ist, Gesetz des Staates Kalifornien. Immerhin hab ich einen Heizlüfter, und so wird es nie wirklich kalt hier, nicht so wie früher – jedenfalls niemals unter fünfzehn Grad –, und ich bin der Feldmarschall einer Armee von Kochtöpfen und Lackdosen, die mit mindestens fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit fünfzig Prozent des Regens einfangen. Und wieso bibbere ich dann trotzdem wie ein Cholerakranker, als ich endlich den Regenmantel abstreife, aus den Stiefeln steige und ein Handtuch um den Kopf schlinge? Weil ich fünfundsiebzig bin, deswegen. Weil Nässe bei fünfzehn Grad in meinem Alter ungefähr dem Gefrierpunkt von Wasser entspricht, als ich neununddreißig war, dem Jahr, in dem ich Andrea kennenlernte.
    Überall riecht es nach Schimmel – logisch – und nach Ratten. Die Ratten – eine sogenannte r-Selektion im Überlebenskampf: große Würfe, hochgradig mobil, für praktisch jede Umweltbedingung geeignet – gedeihen prima und vermehren sich, als gäb’s kein Morgen (aber natürlich gibt’s eins, wie sich jeder, der heute lebt, nur allzusehr und allzu schmerzhaft bewußt ist, und dieses Morgen kommt auch für die Ratten). Sie verbreiten einen unterschwelligen, verstohlenen Geruch: wie alte zusammengeknüllte Sportsocken am Boden des Umkleideraums in der Schule, Rohre, die längst einmal gereinigt gehörten, auf dem Teller eingetrocknete Sauce Bolognese, die erst mit etwas Wasser wieder flüssig wird. Es ist ein stiller Gestank, kein Vergleich mit der Hyäne, wenn sie naß geworden ist, was ja jetzt dauernd der Fall ist, undich vergebe den Ratten dafür. Schließlich bin ich ein Umweltschützer – oder war es jedenfalls, hat wohl wenig Sinn, diesen Begriff heute noch zu verwenden – und glaube an leben und leben lassen, die Tiefenökologie und Adat und Keine Kompromisse zur Verteidigung von Mutter Erde.
    Andrea. O ja, Andrea. Sie hat mich geschmort in diesem Schmelztiegel, mit ihren glühenden Augen und dieser Stimme wie heiße Asche, und mit ihrem Körper, ihrem wunderschönen, festen Körper einer Rucksackreisenden, den stämmigen Beinen, den fraulichen Hüften und allem anderen. Sie ist jetzt auf dem Weg zu Swensons Kneipe, um mich wiederzusehen. Vielleicht ist sie auch bereits dort, das Gläschen Sake wie ein Fingerhut in ihren großen Frauenhänden, lehnt sie sich an der Theke nach vorn, um herzuzeigen, was sie noch hat, und Shigetoshi Swenson die Sprache zu verschlagen, dem
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