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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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Barkeeper, der höchstens vierundsechzig oder fünfundsechzig sein kann. Der Gedanke an dieses Bild bringt mich in die Gänge, das war schon immer so, und im nächsten Moment bin ich im Schlafzimmer und reiße einen Pullover aus der Schreibtischschublade (einen schwarzen Rolli, um die Truthahnlappen unter meinem Kinn zu verbergen), denke mir, keine Zeit zum Duschen, bin auch so naß genug. Von einem Haken im Schrank greife ich mir eine halbwegs saubere Jeans, schlüpfe in meine Cowboystiefel aus Kunstleder und stürze dann zur Tür hinaus – aber nicht ehe ich das Ensemble mit der Krönung komplettiere: der roten Baskenmütze, die sie mir geschickt hat, als ich zum zweitenmal ins Gefängnis mußte. Ich ziehe sie tief in die Stirn, wie die Strickmütze des Öko-Terroristen. Um der alten Zeiten willen.
    Unwetter oder nicht, draußen sind jede Menge Leute unterwegs: Pendler, Einkäufer, Reparaturteams, Teenager, die darauf abfahren, daß die Welt zu Scheiße wird, und ich muß achtgeben auf den Wind, der den Wagen beutelt, auf die Schlaglöcher und Bodenwellen und die ausgewaschenen Stellen. Vor fünfundzwanzig Jahren war das hier Wildnis, wo man Luchse, Maultierhirsche, Kaninchen, Wachteln und Füchse finden konnte, bevor alles niedergemetzelt und weggewildert wurde. Ich erinnere mich noch an Pferderanches, endlose Weideflächen in den Hügeln, riesige Grundstücke wie das vonMac, sogar hie und da eine Emu-Farm (Magerer als Rindfleisch und nur halb soviel Kalorien, probieren Sie noch heute einen Emu-Burger!) . Inzwischen sind dort Apartmentsiedlungen. Graue, feuchte Hochhäusercañons. Und wer lebt in diesen Apartments? Verbrecher. Fleischfresser. Hautkrebspatienten. Leute, die über Tiere – oder über die Natur oder die Welt, wie sie früher war – nicht mehr wissen, als ihre Computer sie wissen lassen.
    Na schön. Machen wir es kurz. Wir schreiben das Jahr 2025, ich heiße Tyrone O’Shaughnessy Tierwater, ich bin fünfundsiebzig und halb irisch-katholisch, halb Jude. Geboren wurde ich in dem wohlhabendsten Vorort der größten Stadt der Welt, zu einer Zeit, als es noch keine Versorgungsengpässe gab, jedenfalls nicht in diesem Land, keine Unwetter (außer den normalen), keinen sauren Regen und genügend Wildnis und dichten Urwald, wo man tief durchatmen konnte. Momentan bin ich auf dem Weg zu meiner Exfrau Andrea, um mit ihr eine Portion Wels-Sushi aus dem Zuchtteich zu probieren, ein paar zu heben und vielleicht sogar mit ihr ins Bett zu hüpfen, um der guten alten Zeiten willen. Oder aus Liebe. So hatte sie es doch ausgedrückt? Aus Liebe ? Die Scheibenwischer bewegen sich im Takt zu meinem arrhythmisch schlagenden Herzen, dem Wind platzen bald die Backen, und der fette Olfputt-Geländewagen stampft wie ein Schiff auf hoher See – und in meinem Kopf habe ich, festgeklebt wie ein Kaugummi an der Schuhsohle, den Fetzen eines Schlagers von vor so langer Zeit, daß ich gar nicht mehr weiß, wie er hieß oder wo ich ihn aufgeschnappt habe. Down the alley the ice wagon flew... Arlene took me by the hand and said, Won’t you be my man?
    Dieser Ausflug könnte interessant werden.
    Der Parkplatz ist überschwemmt, das sanft schwappende, kackbraune Wasser steht gut einen halben Meter hoch, und das war’s wohl für meine Cowboystiefel – die ich nur aus Eitelkeit angezogen hab, dabei hätten es die Gummitreter ebensogut getan. Ich sitze eine Minute lang da und verfluche meine Blödheit, während die trüben mickrigen Lämpchen von Swensons Kneipe durch den Schleier der regenschlierigen Windschutzscheibe locken. Der benachbarte mexikanisch-chinesische Imbiß ist dauerhaft mit Sandsäcken gesichert und duster wie eine Höhle, dafür stehen die Computerwerkstatt und der Supermarkt gleich daneben in luftiger, trockener Höhe auf drei Meter langen Stützpfählen, die aus dem gebrochenen Hafendamm von Gaviota stammen. Der Regen prasselt jetzt stärker herab – logisch – und spielt Schlagzeug auf dem Dach des Geländewagens, der Wind rüttelt kontrapunktisch an der Fahrerkabine und packt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, um es an ein geheimes Ziel zu tragen, zum Friedhof der fortgewehten Sachen. Hier oben in den Hügeln, wo sich die Unwetter gerne festsetzen, nachdem sie vom Meer heraufgerast sind, ist jedes Dach mit Stahltrossen gesichert, und in die Firma, die das anbietet, sollte man sein Geld stecken – »Bombenfest, der Fachmann fürs Dach«, mit Langzeitgarantie. Natürlich ist alles, was ich je zum
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