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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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diese lieben alten Frauen ansprechen, ihnen erklären, wie und was, und was ein Mikrophon ist. Aber er war so begeistert von seiner Idee. Er war ein Kind. Oder er wollte eins sein. Man kann alles. Das war auch so ein Spruch von ihm. Er hätte Sportlehrer werden sollen. Oder Entdeckungsreisender. Aber nicht heute. Vor hundert Jahren. Segelschiffkapitän. Abenteurer. Jemand, der mit allen Schwierigkeiten fertig wird. Wenn sie aus der Natur kommen. Der Natur gegenüber war er immer mutig, einfallsreich, unbesiegbar. Nur Leute … Sie machte eine abstürzende Bewegung.
    Er war ja unheimlich praktisch. Das Häuschen in Starnberg war ein Hühnerstall, als wir es kauften. Ein Flüchtling hat eine Hühnerfarm aufmachen wollen und hat es nicht geschafft. Klaus hat alles selber gemacht. Und wie. Eine Terrasse, sowas gibt es nicht ein zweites Mal. Aus rotem Sandstein. Diese rote Terrasse ist sein Denkmal. Die wird bleiben, das weiß ich. Aber im Grunde genommen war er fertig. Ehrlich. Er war auf dem falschen Dampfer. Und mich hat er auch auf diesen falschen Dampfer gezwungen. Darum weiß ich, wie das ist, auf dem falschen Dampfer zu sein. Das ist die Hölle. Durch einen saublöden Zufall ist er in diesen Scheißjournalismus hineingekommen. Dann auch noch in dieses Umweltzeug. Dann hat er geglaubt, er muß das alles ernst nehmen, weil wir jetzt davon leben. Er war so verkrampft. Zuletzt hat er mit allen Leuten Krach gekriegt. Aber schon mit gar allen. Die Redakteure und Lektoren, von denen er abhängig war, hat er gehaßt, weil er von ihnen abhängig war. Wenn einer auch nur einen Hauch von Kritik spüren ließ, hat Klaus das eigene Manuskript vor dessen Augen zerrissen. Das war echt brutal. Natürlich auch lächerlich. Er hatte ja einen Durchschlag. Das wußte jeder. Er hat nur darauf gewartet, daß sie ihm in den Arm fallen. Gegrinst haben sie.
    Sie trank aus, hielt das Glas hin, kriegte es gefüllt, sagte Prost, und trank. Sabine trank mit ihr. Wie er Leute, von denen er abhängig war, beleidigt hat, war echt brutal. Eben weil er abhängig war von ihnen. Seinen Verleger, was er mit dem aufgeführt hat. Eine Zeit lang ist er regelmäßig nach München hineingefahren und hat das Auto des Verlegers … ich kann es gar nicht sagen. Er war eben fertig. Fix und fertig. Deshalb hat er sich doch so gefreut, daß wir euch getroffen haben. Jetzt packen wir’s, hat er, nach dem ersten Abend, gesagt. Er war ein Phantast. Sofort hat er wieder von den Bahamas angefangen. Mit Helmut auf die Bahamas. Das war sein neuester Einfall. Es war nicht ganz leicht mit ihm, das kann ich euch sagen. Wegen seiner Empfindlichkeit. Weil sie ihn merken ließen, daß sie ihn gar nicht brauchten. Als sie ihn das merken ließen, war es aus. Seitdem hat er angefangen, hundertmal am Tag, ich schwör’ es, einhundertmal am Tag hat er gefragt, ob ich ihn noch möge. Er ist sich immer mehr vorgekommen wie der letzte Dreck. Und ich mußte ihm andauernd beweisen, daß er nicht der letzte Dreck ist, sondern der Allerallerallertollste. Und zwar glaubhaft. Aber ja.
    Sie sprang auf. Ging hin und her. Sie hatte das Glas in der Hand. Ließ es sich füllen. Trank. Man hat praktisch nicht mehr reden können mit ihm. Ich hatte allmählich das Gefühl, daß ich es nicht mehr sehr lange aushalten werde. Es kam mir immer mehr so vor, als müsse ich einen Ertrinkenden über Wasser halten. Wenn es mir nicht mehr gelänge, würde er uns beide hinabreißen. Ich habe gemerkt, daß ich das nicht ewig schaffen werde. Darum war ich genau so froh, daß wir euch trafen. Wir waren ja total isoliert. Total. Bitte, ihr versteht mich nicht falsch. Ihr wißt, daß ich nichts gegen Klaus sagen will. Ich will… ich muß nur sagen … euch muß ich … einmal muß ich jemand sagen, wie es … Ich bin … ich selber habe praktisch … wenn ich das ein einziges Mal sagen dürfte … ich habe nicht leben dürfen, das hat er nicht gestattet. Ich habe mich für das, was er gemacht hat, noch viel mehr interessieren müssen als er selber. Wie wenn ich seine Tochter gewesen wäre: Was er nicht erreicht hat, das sollte ich erreichen. Ich war sein Stolz. Andererseits war er sauer, wenn jemand etwas gelobt hat, was ich gemacht habe. Er war verrückt. Er hatte, weil er merkte, daß er nicht gebraucht wurde, einen Grad von Egoismus erreicht, den man eine Geisteskrankheit nennen sollte. Ich habe Musik studiert, als er mich kennenlernte. Von heut auf morgen habe ich das aufgeben müssen. Wir kennen uns noch
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